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So nette Sonette dicht an dicht
Kleiner Hinweis auf Gedichte zum Aufschneiden

Von den Meiendorfer Drucken habe ich schon mal einen in diesen Spalten besprochen. Das war die Nummer 11. Sie hieß »Donnerwetter« und ging – wie mir ihr Co-Autor Klaus M. Rarisch aus Berlin versicherte: daraufhin in eine zweite Auflage. Eine Auflage beträgt allerdings, bescheiden genug, nur 300 Stück. Lyrik etcetera hat es nicht leicht im Verlagsgeschäft.

Umsoweniger, wenn sie sich, wie diese, bewußt und mit Wonne zwischen zwei Stühle setzt. Denn was Robert Wohlleben verlegt, ist auf altmodische Weise ernsthaft und – selten genug, heutzutage – reimt sich meist sogar. Auf der anderen Seite ist sie auf neumodische Weise frech und mit Kalauern sowie kräftigem Nonsens durchsetzt.

Da finde ich eben, beispielsweise, einen Schüttelreim in Ernst-Jürgen Dreyers – bitte nicht gleich »Pfui Teufel!« sagen – »Hirnsfürzen«, den ich so manchem Zeitgenossen ins Stammbuch schreiben möchte. Er lautet: »Ihr wünscht euch eine neue, heile Welt? / Seid froh, wenn die hier noch ne W. h.« Auch den, der darunter steht, finde ich beherzigenswert: »Vor allem eins, mein Kind, sei rein und klar, / und sei die Wahrheit noch so kl. u. r.« Es gibt dann aber auch welche, die hier besser nicht zitiert werden.

Seit nun schon 22 Jahren existieren die Meiendorfer Drucke zum Vergnügen von also bestenfalls 300 altmodisch-neumodisch eingestellten Lesern in Deutschland (mehr von dieser raren Spezies kann man dann auch wohl nicht erwarten). Etwas weiteres steht einem Breitenerfolg entgegen, was der Wohllebensche Verlagsprospekt dann auch nicht verschweigt. In ihm heißt es: »Der Verlag produziert anfallsweise.«

Einem solchen Anfall von Arbeitswut dürften die sechs oben aufgezählten Druckerzeugnisse zu verdanken sein, die sich neben mir auf den Schreibtisch, nun, nicht gerade türmen, wohl aber einen angenehm überschaubaren Stapel bilden. Das altmodische Vergnügen des Aufschneidens habe ich bereits hinter mir. Mein Großvater besaß dafür noch ein eigenes Federmesser, mein Vater lehnte unaufgeschnittene Bücher als altmodisch ab und ich habe dafür eine einfache Schere genommen.

Was die Ränder ein bißchen ausgefranst hinterlassen hat, aber das gibt dem dicken, etwas gelblich gefärbtem Papier einen Anschein von jenem Bütten, das fast so selten geworden ist wie eben das altmodische Vergnügen, ein Buch aufschneiden zu müssen, ehe man es lesen kann. Man hält es ja immer eher mit den Großvätern als mit der Vätergeneration.

Büchern gleichen die umschlaglosen Meiendorfer Drucke allerdings nicht, eher Heften oder Broschüren. Sie sind jedoch geheftet, fallen also nach dem Aufschneiden nicht gleich auseinander. Die Lektüre kann beginnen. Sie ist knapp aber intensiv, kurz aber deftig; man muß sich nicht monatelang damit herumschlagen wie mit den heutigen Bestsellern. Und es schadet den Bändchen nicht einmal etwas, wenn man sie gegebenenfalls wütend in die Ecke schleudert.

Wer es weitgereist liebt, greife zum »Dschungelkummer« von Wolfgang Uster, der anscheinend vorwiegend in der Karibik, in Australien oder Indien dichtet. Land und Leute werden auf meist satirische Weise sehr plastisch. Ein Beispiel (nur der Anfang eines australischen Gedichts): »Wanderer, kommst du nach Queensland, / erwarte nicht zu viel. / Bedenke: /Hier besamen die Farmer ihr Rindvieh noch selbst, / der Busch brennt, / und eine Krähe hackt der anderen / selbstverständlich auch ein Auge aus. / Ein Frontstaat gegen Zyklone, Regenwald und Weltmarktpreise.«

Das klingt nach Brecht und Arno Holz. Ansonsten besitzen die Meiendorfer Autoren eine seltsame Vorliebe für das Sonett, das es sonst, so weit ich sehe, heute so gut wie überhaupt nicht mehr gibt. Wohlgedrechselt und mathematisch klar überlebt es bei Richard Klaus wie eine aussterbende Tierart im Zoo. Eines, »Saison um Antibes«, beginnt im Kästner-Ton: »Die langen Stunden schlafen ausgedehnt, / und Tagesleere gähnt in den Visagen. / Beflissenheit ermüdet nur drei Pagen / im Grand Hotel, das sich nach Gästen sehnt.«

Bei Robert Wohlleben selbst – im Zivilleben Wirtschaftsredakteur und Deutschlehrer, eine seltsame Mischung – werden sie in Käfigen gehalten wie bunte Papageien. Er sonettiert sogar »Über Gedichte von Rilke«, ohne in direkte Parodie zu fallen. Der Beginn: »Der Himmel überm Watt: Legendenlicht ... / nicht weit vom Horizont, auf festen Spuren / wie Automaten in Figurenuhren, / gehn Tier- und Menschenzüge, enden nicht.«

Die Ironie liegt dabei weitgehend im heute so verpönten Reim, der dennoch rilkisch bleibt. Umsomehr als Wohlleben dem von »Spuren« und (doppelt!) »Figurenuhren« in den beiden nächsten Zeilen noch ein Krönchen aufsetzt: »Sehr schön in Fell und Roben wenden dicht / an dicht sich Dichter, Panther, Königshuren«.

Ja, und dann sind da die 15 Sonette des tragisch verstummten Dieter Volkmann, an den sich ältere Berliner Literaturfreunde noch aus dem alten Nachkriegs-»Massengrab« – einem Forum damals junger Autoren – erinnern könnten. Ein surrealer Spätling, dessen Verse, ebenfalls ironisch durchsetzt, Visionen heraufbeschwören, wie sie in derart klassischem Gewand heute bestenfalls noch in England geschrieben und publiziert werden. Oder wurden, denn sowohl Philip Larkin als auch Sir John Betjeman sind ja vor einigen Jahren verstorben.

Sonette und gereimte Gedichte mögen überholt sein. Aber schüttele den Kopf wer will über diese Meiendorfer Nachzügler und die bescheiden-hübschen Drucke, in denen »dicht an dicht sich Dichter« drängeln. In die bildenden Künste ist der Gegenstand ja auch zurückgekehrt. Am Ende wollen wir alle eine heile Welt und hoffen stark, daß diese, unsere noch ne Weile hält.

N. Wendevogel

DER TAGESSPIEGEL, Nr. 13293, 17./18.6.1989

 

 

 

 

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