Zu www.fulgura.de mit Navigations-Kolumne

HAMBURGER SZENE

JETZT DRUCKEN SIE WIEDER! Jahrelang galten die ironisch-verzwickten Text/Grafik-Produktionen aus dem Meiendorfer Kleinverlag als Sammlertip. ARNO HOLZ’ »KRÄCKERAKRA« mit den Zeichnungen von JENS CORDS und TESCHAUS »VEILCHEN UND MÄHRRETTICH« mit Grafik von FRANK BÖHM sind unterdes auch für Geld und gute Worte nicht mehr zu bekommen. Andere Ausgaben findet man nur noch in erlesenen Antiquariaten (z.B. bei Dieter Frisch in Hbg.-Eppendorf).

Der Verlagsinhaber hat sich unterdes abermals verehelicht, ist nach Hamburg-Eppendorf übersiedelt und zeugt nun fortwährend neue Variationen des Themas »Spaß an Sprache, am sicheren Strich, an handwerklicher Herstellung«.

Auf einen Schlag legt er vier neue Ausgaben vor, jeweils ein Bogen Oktav, unaufgeschnitten für acht Mark. Der auf ein Landschlößchen emigrierte Hamburger Gedichteschreiber RALF THENIOR liefert einen langen Brief zum kurzen Abschied, dessen sensibler Erzähltext immer wieder von Kurzgedichten unterbrochen wird. Gezeichnet hat dazu Uwe Paduck. Seine Stricheleien scheinen von Höhlenmalerei, indianischen Elementen und Miro beeinflußt.

Verleger Wohlleben läßt die Textsorten durch verschiedene Schriften voneinander absetzen, verwendet Composertypen und einen Kindersetzkasten parallel. Ironischen intellektuellen Spaß liefert Robert Wohlleben himself mit Grafiken von FRANK BÖHM, einem »MEIENDORFER« der ersten Stunde: »Ohne Herz kein Schmerz – Wahre Zweizeiler über die Liebe«. Einen Jux woll’n sie sich machen, und so liest sich das dann auch.

KLAUS M. RARISCH ist seit 25 Jahren unbekannt, Im Gegensatz zu Rühmkorf, obwohl beide gleichermaßen perfekte Handwerker sind und zeitgleich in den 50er Jahren vergleichbare Literaturkonzepte postulierten – Rühmkorf in Hamburg, Rarisch in Berlin. Der Fight zwischen »Ultimisten« und »Finisten« machte Literaturgeschichte eher hinter den Kulissen, denn vorn auf der Bühne hampelte lautstark die »GRUPPE 47«. Der ist Rarisch immer noch böse. Sein »ENDE DER MAFIA« ist ein hochkünstlerischer Racheakt, eine veritable Schmähschrift nach einem Artikel von Marcel Reich-Ranicki anläßlich der offiziellen Auflösung jener Literaturverhinderungsorganisation. Alles von Hand auf Mittelachse gesetzt, da schimmern bei aller Insiderschelte jahrhundertelange Traditionen durch. Rarisch setzt Organisation gleich Organisation und mafiatisiert die großen Namen der 50er Jahre: Raddatz – Federico Radezza; Kaiser – Gioacchino Imperatore, und last not least der Kritikerpapst »man höre, staune und betone: er selbst, Marcello Ricco-Randellone.« Sicher, Rarisch zieht den toten Löwen am Schwanz, aber Spaß macht’s doch.

Viel jünger ist der zeitweilig aus Niedersachsen zugewanderte Liedermacher WOLFGANG USTER. Bei seinen »SPECKFRESSER«-Texten und Szenen schmeckt man Zutaten aus dem Werk von Ringelnatz und Graßhoffs böser »HALUNKENPOSTILLE« heraus, und gelegentlich grinst Heine um die Ecke. Aber ein Kleinstadtheine in Jeans und Lederjacke. Übrigens ist auch eine Songsammlung von Wolfgang Uster im selben Verlag in Vorbereitung.

JÖRG WICKRAM

Ulcus Molle Info, Nr. 5/6, 1981

© Steve B. Peinemann