Zu www.fulgura.de mit Navigations-Kolumne

Ein unbekannter Sonettist des 20. Jahrhunderts:
BENNO RADAU (1902–1931)
Von Klaus M. Rarisch

Sein Band «Sonette», Frankfurt am Main: Haag + Herchen, 1985, 76 Seiten (mit einem Vorwort von Lothar Tews), enthält 55 Gedichte in Sonettform, von denen aber viele gar nicht oder nur rudimentär gereimt sind und somit als Sonettoide gelten müssen. Hier die besten Sonette aus dem Band (S. 15, 34) dieses typischen Kleinmeisters, der 29jährig an einem schweren Lungenleiden starb.

Die frühen Spiele bauten eine Welt.
Ein märchenseltnes Kreisen überflammte
den zarten Leib in seinem dunkeln Samte,
in allen Falten kinderaug erhellt.

Aus Rundem ward ich plötzlich hingestellt
in Dinge, denen ich nicht mehr entstammte.
Zerbrach mich fremd. Nie schlug mir das Gesamte
die Kreise bittrer auf, die nun zerschellt.

Da warf ich vor die Augen meine Hände
und nahm mit jedem Weinen ein Gesicht
aus meinem Antlitz, hängte sie an Wände,
die rings sich biegen von dem Ungewicht
weit über mich und meine Kindesspiele.
– Und biegen sich, als seien schon zu viele.

Die Seide an der Wand zerfällt in Stücken,
und Moderdüfte steigen aus dem Spinde.
Ans Fenster rütteln laute, frische Winde;
doch gibts von draußen hierher keine Brücken.

Ein dürrer Blumenstrauß läßt sich zerpflücken
und löst sich raschelnd aus dem Bandgewinde.
Im Spiegel selbst ich nichts mehr wiederfinde:
zu tief in ihm liegt lächelndes Entzücken.

Es zaubert auch kein Wunsch mehr alles das,
was ehmals war, vor meine Augen hin,
da’s nicht der Spiegel will, der alles sah.
Ein trüber Schleier legt sich auf das Glas
und auf die Porzellane, auf das Zinn,
auf alles das, was war und was geschah.

Danzig, Rokokohaus

Sonett-Sprechsaal

Sonett-Sprechsaal
Der Sprechsaal

Zurück:
zu Klaus M. Rarisch
zu den entstaubten Sonettdichtern

 

Rechte am Kommentar bei Klaus M. Rarisch