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Robert Wohlleben:

Sonett – funktioniert die Form?

 

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9. Gespräch in Sonetten: Tenzone



Anlässe für Sonette wurzeln hin und wieder in anderen Sonetten, wie schon beim ausgedehnten Sonettdialog «Hieb- und stichfest» von Lothar Klünner und Klaus M. Rarisch gesehen, wo die beiden einander immer weiter reizten und anreizten. Jahre später entstand eine lange Sonettkette, nachdem Matthias Koeppel die Wurst zum schönsten deutschen Wort erklärt hatte und Klaus M. Rarisch darauf eingegangen war: Um die Wurst – Sonette zur Lage. Mein Website fulgura.de enthält außer der Gruppe mit dem Mauerlos-Sonett von Rarisch und den drei gleich gereimten Nachfolgesonetten noch ein paar weitere «Tenzonen», darunter zwei, die sich mit Beiträgen «aus dem Netz» unvermutet ergänzt und weitergesponnen haben. Wie Gesellschaftsspiel und Gesellschaftstanz gibts anscheinend auch hier und nicht nur in Japan etwas wie Gesellschaftsdichtung.

Als ich noch lange nicht ans Internet dachte, entstand zwischen Berlin und Hamburg die Schlaf-Tenzone. Das Primärsonett von Richard Klaus und in seinem Meiendorfer Druck «Eisprung I» (Nr. 13) enthalten:

 

Langzeitschlaf

Der lange Schlaf ist nur ein tiefes Schweigen,
das dort, am Ziel, unendlich dauernd währt
und einem Hauch gleich über Wüsten fährt,
die mit den Dünen auf- und niedersteigen.

Er ist die Stille in entlaubten Zweigen
und etwas, das zerfallend Triebe nährt,
in denen sich das ganze Sein erklärt
in seinen Saaten, Reifen oder Neigen.

Der lange Schlaf erscheint uns nur wie Tod,
denn alles ändert sich nur im Verrinnen,
um als ein andres wieder zu beginnen.

Er gleicht der Fahrt in einem schmalen Boot,
das irgendwann mit uns ganz still von hinnen
dem Drüben zustrebt, um es zu gewinnen.

Vielleicht in Ablehnung des Gedankens vom jenseitigen Gewinn, ganz diesseitig geworfen und aufgerufen, fällt Klaus M. Rarisch desillusionierend zur Parade aus:

 

Das Ende der Schlaflosigkeit

Der lange Schlaf ist kein Geschenk der Gnade,
Er ist der Lohn, der uns allein gebührt,
die wir ein Leben voller Lärm geführt,
ist Anspruch auf ein ruhiges Gestade.

Nur fade Asche birgt die Bundeslade.
Das Feuer, von Begeisterung geschürt,
erlosch und hinterließ uns unberührt
von Fragen, sei’s auch um die Antwort schade.

Der Tod erscheint nur dem wie langer Schlaf,
der schon das kurze Leben dumpf verschlief,
den nie ein Rufer in der Wüste rief,

den kein Appell des Nachts zum Wachen traf
und dessen Fahrt so trüb wie glatt verlief.
Uns ist die längste Ruhe nicht zu tief.

Das Sonett erschien nicht gleichzeitig mit seinem von Richard Klaus gelieferten Anlaß, sondern steht erst eine Weile nach seiner Entstehung für sich allein und hinweislos in Rarischens Meiendorfer Druck «Die Geigerzähler hören auf zu ticken» (Nr. 20). Das dritte Sonett der Tenzone, meine Replik auf beide, bekam – ebenfalls hinweislos – seinen Platz in meinem Meiendorfer Druck «Der grinsende Vater» (Nr. 16), gleichzeitig mit dem Primärsonett erschienen. «Traum-Haft» scheint sich vom Offenbarungs- beziehungsweise Dekretierungston der beiden voraufgegangenen Sonette abwenden zu wollen … und wird damit alles andere als offenbar oder klar:

 

Traum-Haft

Das Licht von nirgends, Wände nicht von Stoff,
die Hände greifen leer in zahllos viele
Gelasse voll Gestühl verschollner Stile,
an Fenstern enden alle Welten schroff.

Wo einst Sekret aus Drüsen niedertroff,
entstehen Fleck um Fleck die Schattenspiele
von Tuschen, hinschraffiert mit blindem Kiele,
daß kein Beschauer auf Verstehen hoff.

Wer alles ist durch dies hindurchgegangen –
durch Welten, doch in einer stets gefangen?
Die Spuren all der Gänge sind verworrn,

wie sie sich trafen, trennten, sich verschlangen,
um endlich, endlich auswärts zu gelangen
– wo doch das Ende wieder hieß: von vorn!
 

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