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Einband Not Zucht und Ordnung / hinten

Einband Not Zucht und Ordnung / vorn

Harte Poesie zum Ultimo

Wenn wir nur mehr junge Poeten aus der Machart eines Klaus M. Rarisch hätten! »Not, Zucht und Ordnung«, sein Gedichtbändchen, erklärt im Impressum: ›Für Unannehmlichkeiten ist der Käufer verantwortlich.‹ Dies könnte auch für den vom gleichen Autor herausgegebenen »Ultimistischen Almanach« gelten, in dem er die Autoren von Arp bis Volkmann um eigene Arbeiten und eine bemerkenswerte Einleitung gruppiert, in der es von zum eigenen Nachdenken anregenden Gedankenblitzen nur so glitzert: »Zukunft – auf west-östlichem Diwan ein goldenes Kalb mit dialektischem Januskopf, der nie alle vier Augen gleichzeitig zudrückt ...« oder »die schwarze Utopie totaler Kunst, wie sie ein Hitler erfüllt haben würde, wenn er aus Versehen beschlossen hätte, Lyriker statt Politiker zu werden.«

Doch nicht wegen der Einfallsbrillanz allein sind diese Lyrik- und Prosa-Stücke für die zeitgenössische junge Literatur interessant – sie sind es wegen der darin enthaltenen möglichen Perspektiven, auf deren gereiftes Ausarbeiten durch den Autor man wahrlich neugierig sein muß. Vieles ist vom literaturwissenschaftlichen Universitäts-Studium bestimmt und verlangt vom Leser hohe Vorbildung. Beim durchschnittlichen Bildungsstand in der Bundesrepublik engt dies die Wirkungsmöglichkeit solcher Poesie beträchtlich ein. Diese Not erkennend, erhebt sie Rarisch zur Tugend des erklärten Selbstverzichtes, überhaupt auf Wirkung hoffen zu wollen – »Ultimismus« bedeutet für ihn das Ende, aber ein sokratisches Ende: die lang ausstehende Neuerung, die aus der niedergehackten Bürger-Literatur auferstehen soll, bohrt sehnsüchtig im Hintergrund. Daß Rarisch sich mit der deutschen Romantik beschäftigt (siehe seine Schlegel- und Tieck-, ja Novalis-Zitate) und sie richtig bis in den Dadaismus hineinreichen sieht (ich würde sagen, bis zum Happening-Kult des derzeitigen Amerika), ist philosophisch überaus wichtig: Die Ziele von 1789, die in Deutschland die 1848er bewegten und die in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik noch immer auf ihre Verwirklichung harren, streben auch in der Literatur nach Ausdruck. Und so wie ein Heinrich Heine aus der ironischen Studiosi-Lyrik und dem didaktischen Freiligrath-Rebellieren seine Synthesen aufbaute, so wird es wieder kommen: mit Dichtern wie Klaus M. Rarisch zur Rechten und dem DDR-Poeten Helmut Preissler zur Linken! Denn daß sich der »Ultimismus« als eine »Schule« zu etablieren sucht, beweist das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl seiner Gründer, also von Rarisch, Manfred A. Knorr und Dieter Volkmann. Ohne dergleichen Erscheinungen, nur mit Kommerz-Trusts wie der Gruppe 47, sterben die literarischen Kontroversen, die jede nationale Literatur mittels Trend und Anti-Trend zur Gestaltannahme verhelfen. Hier bildet sich ein (spezifisch West-Berliner) Nukleus heraus, wie er in München vielleicht um die Zeitschrift »Kürbiskern« ebenfalls wächst. Wenn man längst die Ford-Foundation vergessen haben wird, wenn der Name Professor Hoellerer nicht mehr sein wird als ein Firmenname wie »Dr. Oetker«, dann wird man diese heute noch jungen Autoren in einem anderen Licht sehen: In der Schillerstraße 40 in Charlottenburg, wird man sagen, traf sich eine Jugend im »Kulturkeller ›Das Massengrab‹«, um als literarische Vereinigung den Massentotengräbern Widerstand zu leisten, so gut sie es verstanden. Und dies mit dem (unaufdringlichen) Ziel, an diesem finsteren deutschen Ort eine Blütenwiese der neuen Poesie anzubauen.

Arno Reinfrank, London
Deutsche Volkszeitung 24.3.1967

Dieter Vogt = Tyspe: Bildbeigabe zu »Not, Zucht und Ordnung« von Klaus M. Rarisch
Dieter Vogt = Tyspe:
Bildbeigabe zu »Not, Zucht und Ordnung« von Klaus M. Rarisch


Dieter Volkmann
schrieb das Nachwort


Siehe auch
Ultimistischer Almanach
Ultimistisches Manifest
Was ist Ultimismus?
Massengrab