Mike Ottmann rezensiert Sodoms Himmel, Sonette von HEL = Herbert Laschet Toussaint im Meiendorfer Druck 39

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HEL
Sodoms Himmel
Sonette, als Gast an der Bar:
Brigitte Lange

HEL: Sodoms Himmel

Meiendorfer Druck Nr. 39


Daß HEL zu den stillen Megatherien der deutschen Lyrik zählt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. In der Breite seiner Ausdrucksformen steht er über den Schulen und Richtungen und vermittelt zwischen Social Beat. Sonettlichem, Liedgut und GALREV.

Eigener Aussage nach hat er zwölf Bücher auf Halde, Bücher, nicht Meiendorfer Drucke, von denen jetzt, kurz nach dem TESTAMENT, wieder bei Wohlleben einer erschienen ist. Und da an Wohllebens Bude jeder drei Würfe frei hat, dürfen wir einen weiteren erwarten.

SODOMS HIMMEL beginnt mit einer Triade historisierender Sonette. Petrarca, Michelangelo und Shakespeare sprechen, es geht um ihr Verhältnis zum Geliebten, Modell, Mitarbeiter. Über die Liebe hinweg spielen frühkapitalistische Verhältnisse hinein. »Nennt ihr euch die modellproletengilde?« Petrarca bewahrt seine Laura, indem er so tut, als hätte sie ihn nicht erhört, vor den Voyeuren der Nachwelt, Michelangelo glaubt, mit seinen Hoden das Modell, das sich gewerkschaftlich organisiert hat, hinreichend bezahlt zu haben, und Shakespeare muß Italien idealisieren, weil der Mitarbeiter, auf Recherche geschickt, lieber der latin love pflegte.

Das Sonett eines Raben hat bereits in Zeitschriften die Runde gemacht; es ist für mich, neben dem Katerklingchen, dem zartfühlenden Gedicht auf den Tod einer Katze, das schönste des Bandes. Bei den Zirkelleersonetten ist HEL auf der Höhe seiner Virtuosität, sie neigen schon zu dem, was der Osten mit einem Wort Formalismus nannte, und sie zeigen noch etwas: HEL verlangt zwar den »Knick« zwischen Quartetten und Terzetten, seine überzeugendsten Sonette sind aber Gebilde aus einem Guß, wie das vom Raben, das vom »weltorchester«.

Lots Weib ist ein sechshebiges Quatrinensonett, das mächtigste des Bandes, es verbindet Gryphius’ Zeit mit der Moderne, und es ist, dem biblischen Thema angelehnt, wieder ein Rollengedicht, in dem die Frau spricht: »Lots weib hat einen grund, sich umzublicken, Lot!«

Das Mutter-Kollwitz-Sonett lebt davon, daß man von keiner der drei Personen – die Statue aus schwarzem Stein auf dem Kollwitzplatz, die Freundin, der Autor – erfährt, welche wann was tut. Auch kann das Ganze ein Gedankenspiel des Autors sein. Es ist jedenfalls ein mehrschichtiges Gebilde, in dem Zeichnen für Berühren, Knie für Lippen und tobende Kinder für die junge Käthe Kollwitz in der Bellepoque stehn.

Wien Wien Wien bildet den formalkönnerischen Höhepunkt. Erstes Seitensonett: Reimfolge durchgehend -anum / -unam. Mittelsonett: Reimfolge der Quartette: -inken / -anken.In den Terzetten bringt er es fertig, an türkische Wörter, in der Fiktion, die Türken hätten Wien erobert, das österreichische Verkleinerungs-l zu hängen: evl (Häusl), Halefl (wie Steffl); »kahve’obers« kann sich zusammenreimen, wer einmal in Wien war. (Soviel ich weiß, kommen die Palatschinken aber nicht vom türkischen poncik (Pfannkuchen), sondern von einem ungarischen Wort, das auf lat. placenta, Kuchen, zurückgeht.) Zweites Seitensonett schließlich: Reimfolge ochten / iften / ichten / often. An Wien erinnert die letzte Zeile: »Die marktplatzwischer Wiens die hrdlickichten.«

»An der Theke« steht Brigitte Lange mit ihrem Ach, Bach, besinnlich, von hoher Sprachgewalt, wie wir sie bei »Sonett & Massengrab« im Acud erlebten; das Gedicht teils aus Kantatenzeilen gefügt, und man weiß nicht genau, wovor sie fortgegangen, wohin sie zurückgekehrt ist, spürt aber den Weg, den sie ging. Wer ist Er, Bach oder Gott? Ein schöner, schlichter Ausklang: »Ach, Bach, daß ich an deinem Grabe steh.« Einfacher (und auf die Tonart E gereimt), eindringlicher kann man es nicht sagen. Wo bei HEL »das kirchendach bei der fermate« bebt, singt Brigitte Lange »Ihm sehr bald ein neues Lied, in E«, und ist »in d-moll fortgegangen«. Wir möchten mehr von ihr hören.

Mike Ottmann

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