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HOMMAGE À HUELSENBECK


Am 23. April 1967 feierte der Psychiater Charles R. Hulbeck, M. D., in New York seinen 75. Geburtstag. So nämlich nennt sich heute, von Hitler aus Deutschland vertrieben und zu einer bürgerlichen Existenzform gezwungen, der Mitbegründer des Dadaismus Richard Huelsenbeck, der diese konzessionsloseste Antikunst unseres Jahrhunderts von Zürich nach Berlin importierte und dort durch eine Reihe tumultuöser Dada-Soiréen ebenso wie durch die Edition des Dada-Almanachs (1920, »herausgegeben im Auftrag des Zentralamts der deutschen Dada-Bewegung«) ins Bewußtsein der Zeitgenossen hämmerte. War Hugo Ball der Priester, Raoul Hausmann der Philosoph, Hans Arp der Träumer und Johannes Baader der Clown Dadas, so grüßen wir in Huelsenbeck den wortgewaltigen Propheten dieser Buß-Exerzitien des deutschen Gemüts, das – hätte es zur Dada-Zeit nur einmal »bon sens« an den Tag gelegt – 1918 nicht als das Jahr der verpaßten Chancen abzubuchen genötigt gewesen wäre. Die lyrische Bibel des Dadaismus hatte Huelsenbeck schon 1916 mit seinen »Phantastischen Gebeten« veröffentlicht. Im Anhang zur Neuausgabe dieses Buches (Arche Verlag Zürich 1960) findet sich sein bisher letzter größerer Gedichtzyklus (»Die Kuckjohnaden«), den die GRUPPE DER VIER + 4 dem Berliiner Publikum 1958 im Beisein des Autors vorgestellt hatte. Warum sein zur gleichen Zeit entstandener Roman aus dem amerikanischen Gangstermilieu, »Der große Adolfo«, noch immer unveröffentlicht geblieben ist, warum weder sein Plan zu einem autobiographischen Grotesk-Drama (»Wenn der Schwan am Galgen hängt«) noch sein großangelegtes Projekt eines »Apokalyptischen Lesebuchs« (Kostproben daraus brachte der »Ultimistische Almanach«, Köln 1965) bisher realisiert wurde, erklärt sich nur zum geringen Teil aus der zeit- und nervlichen Beanspruchung, der Huelsenbeck durch seine psychiatrische Praxis ausgesetzt ist. Sein Rückzug aus dem neudeutschen Literaturbetrieb, seine Absage an das scheinbar omnipotente Management, das heute über Gut und Böse in Sachen »Geist« richtet und richtert, sie sind Ausdruck einer splendid isolation, die auf Huelsenbecks ausgeprägten Sinn für Realitäten beruht. So konnte er, sine ira et studio, aber mit dadaistischer Schärfe, dem herrschenden Kulturtrust (lange vor Robert Neumann) das Urteil sprechen: »Die Gruppe 47 ist die literarische Waffen-SS.« – Wir veröffentlichen hier ein Fragment aus dem Jahre 1960, das als Beginn eines unvolldendeten Monodramas zu betrachten ist.

Redaktionelle Erläuterung
(Klaus M. Rarisch zugeschrieben. RW)
zum Abdruck von
Richard Huelsenbeck: DIE ANGSTVÖGEL


Dada-Soiree Berlin 1958: Huelsenbeck, Volkmann, Rarisch
Dada-Soiree Berlin 1958:
Richard Huelsenbeck, Dieter Volkmann, Klaus M. Rarisch

total. die literarische illustrierte
4. Jahrgang, Nr. 14/15, 1967

Rechte bei Klaus M. Rarisch