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hans siegmann

zur
Sache

 


Die Oberpostdirektion Bremen hat ins Horn gestoßen, um die klangvolle Weise von Sitte und Moral zu blasen. Denn § 13 Absatz 1 Nr. 2 der Postordnung vom 16. Mai 1963 schützt diese schöne Melodei vor den Dissonanzen des täglichen Lebens – mögen auch namhafte Rechtsgelehrte die Postordnung für verfassungswidrig halten, was ihr Privatvergnügen bleibt. Der besagte Passus lautet:

    »Von der Postbeförderung sind ausgeschlossen … Sendungen, deren … einsehbarer Inhalt erkennbar gegen das öffentliche Wohl oder die Sittlichkeit verstößt …«

Einsehbar ist der Inhalt von Drucksachen oder Büchersendungen. Erkennbar ist z. B. für minderjährige Postbedienstete der Inhalt von Drucksachen, der – anstatt befördert zu werden – aus dem Umschlag genommen und (natürlich aus streng dienstlichem Interesse!) einer eingehenden Lektüre unterzogen wird. Und was bekommen die armen Minderjährigen da in die vor sittlicher Entrüstung zitternden Finger? Lauter gedrucktes Teufelswerk – etwa Gebrauchsanweisungen für gewisse Erzeugnisse der Firma Patentex, die die weisesten Planungen unseres ehrenwerten Bundesfamilienministers über den Haufen werfen könnten! Oder – horribile dictu! – die letzte Ausgabe von »TOTAL« (Nr. 11/12 vom November 1966), in der so scharn- und vaterlandslose Gesellen wie Arno K. Reinfrank (»es sprach der HERR«), Dr. R. Bleich (»Allopathisches Paternoster«), Klaus M. Rarisch (»Europäische Hymnen«) und die englische (! ) Grafikerin SARA (!! –: Sara? hätte unter Hitler kaum Gelegenheit gehabt, arische Postjünglinge zu verwirren) mit der Karikaktur einer unbekleideten (!!! ) Frau (!!!! ) erkennbar verstoßen – ja wogegen eigentlich? Gegen die Sittlichkeit oder das öffentliche Wohl? Der für die Postordnung vom 16. Mai 1963 verantwortliche Gesetzgeber macht da nämlich einen subtilen Unterschied, um den sich jedoch die Herren Verwaltungsjuristen der Bundespost den Teufel scheren.

So nachzulesen im Widerspruchsbescheid der hochwohllöblichen Oberpostdirektion Bremen vom 6. Februar 1967 gegen den Herausgeber von »TOTAL«:

    » Es mag dahingestellt bleiben, ob die übrigen … Beiträge (von Reinfrank, Bleich, Rarisch) … eine Verletzung des öffentlichen Wohls bedeuten.«

Dahingestellt bleibt alles, was Beamtengehirne nicht begreifen. »Denn ein Haifisch ist kein Haifisch / Wenn man’s nicht beweisen kann« sagte schon Brecht, dem rnan eine so intime Vorausschau auf obrigkeitliche Denkstrukturen des Jahres 1967 gar nicht zugetraut hätte. Demnach verstieß »TOTAL« gegen das öffentliche Wohl –: überhaupt nicht! (Jedenfalls nicht »erkennbar« für Postjuristen.) Dagegen umso frevlerischer –: gegen die Sittlichkeit! Närnlich mit der Zeichnung von Sara (! ), die primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale (!! ) erkennbar (!!! ) werden läßt:

    »Schon die vorstehend (vorstehenden Brüste?) beanstandeten Verstöße geben Veranlassung, die Zeitschrift vom offenen Postversand auszuschließen.« –

So weit die Post der Freien Hansestadt Bremen.

Uns gibt dieser Bescheid Veranlassung, daran zu erinnern, daß in Bremen von 1897 bis 1905 ein Postinspektor namens August Strarnm lebte und Dienst tat, der (hört! hört! ) später sogar ins Reichspostministerium Berlin berufen wurde. Der p. p. Stramm konnte in der fälschlich für überwunden gehaltenen Wilhelminischen Epoche immerhin (unter dem sittlichkeitsgefährdenden Titel »Freudenhaus«) Verse veröffentlichen wie:

    »Lichte dirnen aus den Fenstern
    Die Seuche
    Spreitet an der Tür
    Und bietet Weiberstöhnen aus!
    Frauenseelen schämen grelle Lache!
    Mutterschöße gähnen Kindestod!«

Diesen dunklen Fleck auf dem Posthorn hat Bremen jetzt, zwei Generationen später, endlich ausgelöscht!

»TOTAL« schlägt vor, dem Bremer Oberpostdirektor in Anerkennung seiner Verdienste um die bundesrepublikanische Sittlichkeit mit jenem Stück Blech zu dekorieren, das die höhere Weisheit unseres obersten Zwergschülers einer Frau Professor Klara Marie Fassbinder vorenthält.

total. eine macabre Zeitschrift
4. Jahrgang, Nr. 13, 1967