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Klaus M. Rarisch:
Die Geigerzähler
hören auf zu ticken

99 Sonette mit einem Selbstkommentar

Klaus M. Rarisch: Die Geigerzähler hören auf zu ticken

Von Herbert Fussy


Bei einem runden Hunderter ist Rückschau angebracht. Klaus M. Rarisch, Berliner Jahrgang 1936, steht in seiner »Spezialdisziplin« nun knapp davor; seit einem Vierteljahrhundert feilt er nun an seinem Sonettenwerk, 99 gesammelte Sonette konnten nun ediert werden (mit einem begleitenden Essay). 1957 gründete Rarisch die literarische Richtung des Ultimismus mit, die sich auch als Folgeentwicklung des Dada verstand (immerhin waren auch Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Raoul Hausmann und Walter Mehring mit beteiligt). Rarisch war stets ein streitbarer Wortverfechter und stets ein um literarische Anerkennung Streitender. Jede Öffentlichkeitsgröße war ihm recht zum Widerstreit, und Gelegenheiten, an der literarischen Öffentlichkeit und am allgemeinen Literaturbetrieb anzuecken, fanden sich genug. Seine Leserbriefe, Stellungnahmen, Entgegnungen und Richtigstellungen verschonten wenige Redaktionen. Aber hat er im Kern nicht wenigstens teilweise recht? Wo zwischen Zufälligkeit und Manipulation wird literarische Anerkennung gemacht? Eine Kämpfernatur war Rarisch auch immer als Schriftsteller, engagiert rang er darum, typische Phänomene und Auswüchse unserer Zeit inhaltlich zu fassen und in der ihm nächststehenden Form zu verarbeiten. Ein Sonettist, der sein Handwerk so besessen und gewissenhaft betreibt wie er, ist im wahrsten Sinne ein Wortbildhauer. Seine Arbeitsmethoden lassen sich anhand dieser Sammlung gut nachvollziehen. Die erste Phase steht noch voll in einer experimentellen spätexpressionistischen Tradition. Ungewöhnliche, auf Schock und Effekt angelegte Formulierungen und Wortneuschöpfungen, Bilder und Wendungen hetzen in einem schrillen Stakkato von Quartetten und Terzetten dahin und zeigen einen anarchistischen Umrührer und alles in Zweifel Ziehenden, der ein blutiges Chaos provoziert und darin herumwühlt. Programmatisch schon die Titel! Die zweite Phase ist stärker durch klare Komposition und kunstvoll aufgebaute Aussage bestimmt; immer öfter ironisch, zynisch oder resignierend sich zu den (kultur)politischen Ereignissen äußernd, sind seine Sonette nun bis ins letzte poetologisch durchgefeilt. Noch ein Wort zum Herstellerischen. Jede Seite ist zu genießen, denn Robert Wohlleben hat für diese (nun schon 20.) Nummer seiner Meiendorfer Drucke per Computer eine alte Bodoni eingelesen und damit das Buch liebevoll durchgestylt.



Nach einem unveröffentlichten Typoskript. Rechte bei Herbert Fussy