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Absurditäten
Carl Laszlo als Dramatiker

 

Carl Laszlo: Theater I.
Zürich: Verlag H. R. Stauffacher o. J.

Wie sehr die absurde Dramatik in ihrem theatralischen Schicksal absurderweise eben dem akzidentiell begründeten Mechanismus sozialer Konventionen verhaftet bleibt, von dem sie selbst pseudopsychologische Analysen gibt, wie sehr hier dramatischer Gegenstand und theatralische Methode seiner Realisierung in dialektischem Widerspruch zueinander stehen, zeigt die Tatsache, daß die Aufführungspraxis der deutschsprachigen Bühnen an der bürgerlichen Fiktion von der westeuropäischen Hierarchie der Avantgarde mit Paris an der Spitze festhält. Diese durch die deutsche Mentalität begünstigte Konvention zwingt die Autoren des absurden Theaters dazu, französisch zu schreiben und nach Paris zu ziehen, wenn sie in Deutschland gespielt werden wollen. Ein Beweis dafür ist der Fall des 37jährigen, deutsch schreibenden Exilungarn Carl Laszlo, der 1956 in Basel eine Surrealistengruppe zusammenbrachte, seitdem das Ende der Welt proklamiert, Ionesco ins Schwyzerdütsch übersetzt, die Allüren der Dadaisten in ihrem alten Cabaret Voltaire imitiert, eine Zeitschrift »Panderma« herausgibt, Manifeste gegen den Avantgardismus verfaßt und dem Dalai Lama beibringt, wie man sich vom Unterbewußtsein nette kleine Gedichte diktieren läßt.

Panderma-Vorstellung: Die Unterrichtsstunde von Ionesco, 6 Einakter von Carl Laszlo, 15. Juni 1957 Nun legte Laszlo aber vor geraumer Zeit 9 Kurzdramen, 2 größere Einakter und 4 Ballettentwürfe als »Theater I« vor, ohne daß irgendwer außer Laszlo selber mit seiner »Panderma«-Gruppe sich die Mühe gemacht hätte, die Stücke aufzuführen. Warum? Nachdem man sich über die Pedanterie geärgert hat, mit der Laszlo auch das kleinste seiner Stücke (3 Seiten lang) einem seiner Mäzene oder Vorbilder widmet (außer Cocteau, Ionesco und Raoul Hausmann gehört auch ein chinesischer Panther dazu), wird man zugeben müssen, daß alle Möglichkeiten, absurdes Theater und mehr: gutes Theater zu machen, aufgrund dieser Texte gegeben wäre. Die Fünfminutenstücke, die schon im Titel ihre geheime Herkunft vom pseudoromantischen Schicksalsdrama verraten (»Der 8. Februar in Toledo«), offenbaren durch Monotonie vorgegebener Kreisbahnen und totale Automation der Abläufe die Roboterhaftigkeit einer Welt, die wir nur unter Protest als die unsere anerkennen. Für das Abschnurren dieser Mechanik, für das, was man im Drama der Vergangenheit noch »Handlung« nennen konnte, genügt es, den Schaltplan der dramatis personae anzugeben, und jedermann weiß trostlosen Bescheid: »1. Psychiater (später 3. Patient) / 2. Psychiater (vorher 1. Patient) / 3. Psychiater (vorher 2. Patient)«. Vielleicht liegt hierin die schärfste Kritik am absurden Theater: daß seiner Struktur nach die Aufführung eines Stückes nach der Lektüre des Personenzettels überflüssig wird, weil sie nur noch bestätigen könnte, was wir alle längst wissen.

Klaus M. Rarisch

Erschienen in Diskus (Frankfurt/M.), Nr. 1, Januar 1961

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