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Hans Adler: Erzählungen.
Villa Paradiso – Die Witwe – Das Froscherl.
Gedichte aus »Affentheater«.
Mit einem Nachwort hrsg. von
Martina Maria Quoika.
Reihe »Randfiguren der Moderne«,
Postskriptum Verlag, Hannover 1992
 

Ohne Aufsehn

Manche Menschen sind nicht belesen, dafür aber mit einem guten Gedächtnis für markante Verse begabt. Dieses Phänomen ist besonders auffällig, wenn es über den Kanon der Schullektüre hinausgeht. Ein Freund zitierte mir des öfteren ein Gedicht, von dem er nicht mehr wußte, wo er es gehört hatte. Die Schlußverse lauteten: »Wem es bestimmt, der endet auf dem Mist / Mit seinem edelsten Bestreben ... / Ich bin zum Beispiel immer noch Jurist. / So ist das Leben.« Das war mir neu und kam mir trotzdem bekannt vor. Wer aber war der Dichter? Ich glaubte, meinen Heinrich Heine zu kennen, blätterte aber sicherheitshalber die alte Ausgabe durch: Fehlanzeige!

Später entdeckte ich das Gesuchte in einer Anthologie deutschsprachiger Chansons von 1979, und seit kurzem sind wir nicht mehr auf die mündliche Überlieferung angewiesen: Es stammt von dem vergessenen Wiener Dr. jur. Hans Adler (1880–1957). Dessen Band »Affentheater« (Erstausgabe 1920) enthielt in der erweiterten Auflage von 1929 54 bemerkenswerte Gedichte, darunter 13 Sonette. Davon bringt die neue Auswahlausgabe in der verdienstvollen, ansprechend aufgemachten Reihe »Randfiguren der Moderne« (neben drei Erzählungen) 30 Gedichte, darunter 10 Sonette. Adlers schmales lyrisches Werk ist eine gelungene Synthese von »hoher« Poesie in strenger, meisterhaft beherrschter Form und dem hierzulande als »nur« kabarettistisch abqualifizierten Bänkelliederton. Mich erinnern viele von Adlers Gedichten an eine Traditionslinie, die von Heine über den frühen Arno Holz bis Klabund führt.

Die Herausgeberin Martina Maria Quoika dagegen will in ihrem Nachwort Adler anhand einer Rezension von Walter Benjamin der »Neuen Sachlichkeit« Erich Kästners zuordnen. An diesem Vergleich stört der unangemessen antiexpressionistische Affekt. Denn Adler verweist mit seiner Wortwahl, bis hin zur konkreten Metaphorik, auf den Berliner Groteskexpressionismus eines Jakob van Hoddis, dessen Gedicht »Weltende« von 1911 für seine Generation tonangebend war und von dem später noch Brecht zehrte: »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut«. Adlers (möglicherweise zeitgleiches – das Entstehungsjahr ist nicht bekannt) Sonett »Der Richter« radikalisiert den spitzköpfigen Bourgeois zum moraltrompetenden Weltenendzeitrichter (»Sein spitzer Schädel ...«) und deutet den weggeflogenen Hut ironisch zum urteilsdräuenden Barett um: »Schwer seufzend setzt er das Barett sich auf, / Drückt die Hämorrhoiden sich zurecht – / Und die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf.« Damit endet das Sonett; überflüssig zu sagen, daß diese Justiz auf dem rechten Auge blind sein wird.

Das Nachwort ist merkwürdig feministisch gefärbt und versteigt sich zu der unsinnigen Frage, »ob Adler tatsächlich ein ›Macho‹ war« (S. 98). Später wird dem Dichter »die Position des Abgeklärten« zugewiesen (S. 99). So gesehen, wäre wohl auch der Ich-Erzähler in dem Prosatext »Villa Paradiso« von 1922 (der, wie Adler selbst, den Vornamen Hans trägt) ein abgeklärter Macho. Von ihm wird im Nachwort behauptet: »Viel ist es nicht, was der Ich-Erzähler von sich preis gibt« (S. 100); denn: »Auch in dieser Erzählung ist ›Liebe‹ nicht existent« (S. 101). Tatsächlich aber heißt es im Text, nachdem eine Frauenfigur eine quasi psychische Katalyse bewirkt hat: »In diesem Moment erkannte ich wie in einer Erleuchtung, warum ich die Frauen trotz allem liebe« (S. 27). Die Gründe für diese nur scheinbar zynische Seelenlage führt Adler sehr differenziert aus, auch wenn er damit vorgefaßte Stereotype eines modischen Feminismus sprengt. Das erzählende Ich verkörpert den Typ des lebensuntüchtigen Dichters, der sich zur Selbsterkenntnis an einem Gegenspieler reiben muß, dem scheinbar erfolgreichen Ingenieur, der aber am Tropenfieber zugrunde geht, während der Erzähler paradoxerweise überlebt und aus dem Gesichtskreis des Lesers mit unbekanntem Ziel verschwindet. Die gleiche Konstellation liegt in der Kurzgeschichte »Das Froscherl« vor.

Man hätte sich gewünscht, in der Gedichtauswahl alle 13 Sonette wiederzufinden, die eine Zierde jeder Anthologie sein könnten. Eines der drei weggelassenen Musterbeispiele ist, wie schon der Titel verrät, unverzichtbar: »Autobiographische Notiz«. Es hätte allerdings nicht in das Konzept der Herausgeberin gepaßt, wonach Adler »ein Gebrauchskünstler ist, der vorwiegend unterhalten will« (S. 98). Eine auf Unterhaltung orientierte Gebrauchskunst muß aber nicht nur das Publikum, sondern auch den Autor – pekuniär – unterhalten können. Dagegen schreibt Adler in dem unterschlagenen Sonett: »Die Zeit vergeht, die Ambitionen welken, / Verleger sparen gerne an Prozenten ... / Aus meinen Liedern blühn mir keine Renten«, und es spricht nichts dafür, die autobiographische Authentizität dieser Strophe zu bezweifeln. Das Sonett schließt: »Und ohne Aufsehn möcht ich mich entfernen«. Tatsächlich hat sich der Dichter ohne Aufsehn »entfernt«, heißt es doch im Nachwort: »Über seine letzten Lebensjahre ist leider nichts bekannt. Offenbar hat er nach dem Kriege nichts mehr veröffentlicht« (S. 98). Adler war ein Kleinmeister, aber der Akzent liegt auf »Meister«.

Klaus M. Rarisch

Hans Adler

Autobiographische Notiz

Weiß Gott, wieso: die andern kriegen Geld!
Reklame flammt für sie von den Fasssaden,
Der schönsten Frauen süße Seidenwaden
Sind sprungbereit, sobald ihr Auto bellt.

Ihr Ruhm steigt hoch in künstlichen Kaskaden
Und ihre Siegestafel ist bestellt
Mit allen teuren Drogen dieser Welt.
Wer keinen Frack hat, wird nicht eingeladen.

Die Zeit vergeht, die Ambitionen welken,
Verleger sparen gerne an Prozenten …
Aus meinen Liedern blühn mir keine Renten,

Fortuna läßt sich nicht von jedem melken.
Ich huste unter ausgelöschten Sternen
Und ohne Aufsehn möcht ich mich entfernen.

die horen
Nr. 168 (1992), S. 195 f.


Rechte bei Klaus M. Rarisch