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Über das Sonett »Evolution«


HEL (1.9.98):

ich darf mich dem vorredner Dr Dreyer uneingeschränkt anschließen und hinzufügen (geht in tosendem beifall unter) - - Es stimmt im inhalt, und beweist daß man die weltgeschichte in einem sonettkristall bündeln kann; es stimmt in form + technik, und es stimmt, zu schweigen vom klang als strukturelement, - wie sagt der fachmann - lexematisch, etwa in der mehrfachfunktion von »Kraal«: reim, stabreim + 2 bedeutungen. Das kommt besonders schön in der letzten Zeile. Natürlich hat »dichten« etymologisch nichts mit abdichten, verdichten zu tun, kommt vielmehr von »dictare«, also »dicere« - «sagen« und ist mit diktieren verwandt. Da Sie das wissen, gebrauchen Sie es populär abgeleitet und geben dem gedicht einen brillanten - in der musik hieße das Trugschluß, aber den einzig möglichen, der beide bedeutungsebenen zusammen führt. Seien Sie zu dem gedicht aufs äußerste beglückwünscht!

          
            HEL bei fulgura frango          
         

Heinz Ohff (31.8.98):

Im übrigen öffnet Dreyer einem die Augen, oder besser gesagt: den Sinn für Ihre Wort Akrobatik, die ich wahrscheinlich nur bei jedem zweiten oder dritten Mal bemerke, Der Schluß war mir allerdings aufgefallen, mit dem doppeldeutigen »dichten«, nämlich beim Dämmebauen und beim Verseschreiben. Die letzte Zeile fiel mir durch ihre Einfachheit auf, mit der sie ihre Kompliziertheit verbirgt. Man dichtet, wo und wann und wie man kann, klingt überdies leicht ironisch, als mache sich der Dichter sowohl über das Dichten von Dämmen als auch das Schreiben von Versen lustig, was Ihnen am Ende sogar ähnlich sähe. [Stimmt! K M.R.] Auf Nietzsche bin ich beim »Hochgebirgsbewußtseinsphilosophen« allerdings ebensowenig gekommen wie auf Hegel bei den «Machtgezieferhuren«. Man braucht doch hin und wieder Fachleute, die einem die Dinge nahebringen, die man anscheinend nur dann bemerkt, wenn man sich intensiver mit ihnen befaßt. Zu einem Tiefenbohrer wie Dreyer muß man aber doch wohl geboren sein.

          
            Heinz Ohff bei fulgura frango          
         

Alexander von Bormann (Univ. Amsterdam) (10.9.98):

Dank auch für die »Evolution«, die ja äußerst aktuell ist und verschwenderisch und überraschend ihre Reime setzt. Die Dreyersche Interpretation ist ein Lehrstück an Sorgfalt. Die Schlußzeile des Gedichts von unübertrefflicher Lakonik.

Kurt Mejstrik (22.9.98):

So könnte ich nur das eine oder andere Teilchen so oder anders benennen, aber es würde nie eine Analyse im Sinn Herrn Dreyers, der mit der eingehenden, klaren, eher wissenschaftlichen Darlegung einen großen Lobgesang verbinden kann, zu dem ich Ihnen aus vollem Herzen gratuliere. Mir ist durch Herrn Dreyers Gedanken vieles von Ihrem Sonett klarer geworden, was ich nicht gedacht, sondern empfunden habe - ein vieldeutiges Wort, es ist sehr schwer, über innere Vorgänge zu sprechen -, zum Beispiel »Huren - entfuhren«, das Bild war mir sofort eingängig, aber philosophische Gedankengänge dazu wären mir nicht gelungen. Nochmals: ich gratuliere zu dem vollkommenen Sonett, zu dem Lorbeer, den es Ihnen eingetragen hat, und zu den luciden Bedeutungsenthüllungen, die damit verbunden sind!

          
            Kurt Mejstrik bei fulgura frango          
         

Ingeborg L. Carlson (24.9.98):

Als ich den Titel Ihres letzten Sonetts las, »Evolution«, für das ich Ihnen herzlich danke, es ist mir immer eine Freude und auch eine Ehre, wenn ich so ein neugeborenes Geisteskind von Ihnen in der Hand halten darf, wurde mir wieder einmal schmerzlich bewußt, wie hinterwäldlerisch die USA sind und vor allem Arizona. Stellen Sie sich vor, in dem eben begonnenen Schuljahr wird zum erstenmal Evolution gelehrt!! Und schon werden Stimmen laut, die behaupteten, das gehöre in irgendeinen Religionsunterricht; denn schließlich habe Gott die Erde in sechs Tagen erschaffen. Leider ist das kein Witz!!

Diese Sprachkraft. Da haben Sie sich wirklich selber übertroffen. Ich habe das Gedicht einige Male laut gelesen, und jedesmal haut es mich um! Ich bin noch gar nicht ganz durchgekommen. Es ist einfach umwerfend! Diese Wortbildungen! Wie sie knallenl Die Binnenreime, die Variation und Wiederauf nahme der Wörter in anderer Zusammensetzung. Der Rhythmus, einfach großartig! Wortschöpfungen, eine nach der anderen mehr überwältigend. Und die Variation von Biedermann und Biederfrau, herrlich. [...] Aber wer bin ich, lieber Herr Rarisch. Ihr Freund Dreyer hat das ja viel besser und kongenialer gesagt.

Lothar Klünner (5.11.1998):

Ihr Sonett »Evolution« zählt gewiß zu Ihren besten. Einen Freund zu haben wie Ernst-Jürgen Dreyer, ist ein so seltener Glücksfall im Leben, daß man sich über alle Miseren erhaben fühlen kann ...

          
            Lothar Klünner bei fulgura frango