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Germania vom Niederwald-Denkmal (Johannes Schilling)

Auf der Schützenwiese
zwischen Menagerieen, Riesendamen und Seiltänzern,
unter sich ein Postament von Granit,
steht
»das Vaterland«.

Eine schwarze, gusseiserne Puppe mit Augen aus Fensterglas.

Bunte Papierfähnchen zu ihr hinauf
schwenken Kinder.

Würdige Herrn in Frack und Orden
schwitzen feierliche Reden.

Sie glotzt ins Leere.

Sie ist ein Riesenofen,
der uns alle verbrennen wird.

Robert Reß

Arno Holz und Robert Reß, 1910
Arno Holz und Robert Reß, 1910

Das Gedicht stammt von Robert Reß, einem »Schüler« des Dichters Arno Holz. Es ist in Ressens 1899 erschienenen »Farben« enthalten. Damals hatte das Deutsche Reich in Deutsch-Südwest Aufstände der Hottentotten zusammenschießen lassen. Mit immensem Kostenaufwand wurde die Kriegsflotte ausgebaut, denn: »Wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.« Das hatte der spätere Reichskanzler von Bülow von sich gegeben. Robert Reß nimmt sich die Germania-Statuen der wilhelminischen Zeit vor und reduziert das nationalistische Theater aufs Material: schwarzes Gußeisen, Fensterglas. Den würdigen Herrn dagegen »schenkt« er ihren Frack, ihre Orden, ihre schwitzige Feierlichkeit. Es reicht schon, daß sie bei den Riesendamen auftreten: Freak-Show eins wie’s andre. Nur die Kinder läßt der Dichter ungeschoren und sagt schlicht, was sie tun. Nur 15 Jahre sind es noch, bis die Jungs unter ihnen ins Maschinengewehrfeuer laufen. Die Vorahnung läßt den Gedichtschluß zur Grimasse geraten. – Arno Holzens Söhne Werner und Walter (1894 bzw. ’95 geboren) hätten in die fähnchenschwenkende Kinderschar gepaßt … Werner 1918 bei Rückzugskämpfen an der Somme vermißt.

Robert Wohlleben

Thomas Schmidt, RW, Bernd Liefke in Rahlstedt
Thomas Schmidt, RW, Bernd Liefke
zweite Hälfte der Achtziger in der Öffentlichen Bücherhalle Rahlstedt

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