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In uneins mit dem AVCO-Mann, gab ich ihn in erster Fassung an Robert Biedermann zum Mitlesen. Er hielt nicht mit seiner Analyse zurück.

Rahlstedt, 5. II. 67

Lieber Robert!

Dank für die Zusendung, habe sie gestern abend in der Greifenberg-Kneipe zunächst nüchtern, später alkoholisiert auf mich einwirken lassen (bzw. ich mich auf sie). Summa summarum: sonderlich gut finde ich das Gedicht nicht, ich wünschte mir das Ganze lockerer, leichter, konzentriert ätzendes «Parfum», das unter die Haut geht und entsprechend sowohl stinkt als duftet. Grüne Seife, obschon wunderbar säubernd, leistet dergleichen nicht, liegt zu nackt und zu direkt auf, wird sozusagen von der Kleidung schon, spätestens von der Haut, absorbiert. Gute Gesinnung, wird man sagen, gut gemacht das Ganze, «sauber», aber dabei bleibts auch (könnt ich mir denken), das Ganze «zündet» eben nicht so recht, bleibt nicht recht innerlich haften. Dazu müßt’s auch einfacher sein («hinter dem Berg» einfacher, nicht so ziseliert, diese Ziseliertheit wirkt zersplitternd und verdünnend). Und ob die Klopstockanleihen (ansonsten nichts dawider!) sich bewähren: ich weiß nicht, da auf Klopstock ohne Hinweis kaum jemand kommen wird.

So weit mein Gesamteindruck, in den außerdem noch eine gewisse Schiefheit, hauptsächlich psychologischer Art, kommt: der Avco-Mann bekommt hier einen Hauch von Dämonie, der ihm gar nicht zusteht, er ist viel eher skrupellos im Sinne von schlau-primitiv.

Nun zu Einzelheiten: in der 1. Zeile wünschte ich mir zwischen «Wechselglanz» und «Profit» eine Zäsur: so ists nach meinen Empfinden zu lang, liegt wie ein zäher, undurchbrochner Kaugummifaden über dem Ganzen. Auch stutzt man etwas ungebührlich bei «Wechselglanz Profit», «Profit» als Bennennung des Wechselglanzes geht nicht glatt ein, man muß erstmal schlucken. Dann hebt sich gegenseitig zum Teil auf 1.) «progrediert» und «Philanthropenschar» und 2.) «im gleichen Fortschrittstritt» – zumindest das «im gleichen ...» verwässert sehr, da es sich von selbst ergibt, sowieso erfühlt wird. Gut finde ich Zeile 4.

Zur 2. Strophe: da stört nun doch der ja bewegliche Auftritt (vielleicht wäre besser «Aufsieht»?) des Avco-Mannes und das ja, wenn natürlich auch nicht minder imposante, so doch aber statische Paßbild desselben: da ist ein Knick drin. Ansonsten finde ich die Paßbild-Idee gut («bleckt den linken Blick»), wenn nur eben der Mörtel in der Fuge zum Auftritt hin die erforderliche unmerkliche Wendung bringen würde.

Zu Zeile 9: da stört mich das unmittelbar aufliegende «mörderisch»: so weit geht der Avco-Mann nicht, er ist ein Pflicht- und wenn es hoch kommt für die «Freiheit» ein märtyrerhafter Totschlagsmensch; dahinter wird er freilich sagen: was geht mich das an, daß die Welt halt so gebaut ist: suppig-rechtfertigende Gleichgültigkeit. Das Mörderische ist für den Avco-Mann, fast zuviel, dem würde evtl. beim Anblick der ersten Leiche, durch sein Gerät zu einer solchen geworden, schlecht (wie weiland dem «Reichsführer» SS Himmler). Natürlich, das «mörderisch» steht hier neutraler, bezieht sich auf die Opfer, aber auch in diesem Bezug fällt es irgendwie heraus aus dem Ganzen, es ist nicht umgesetzt, und das geht insofern schlecht, als «mörderisch» ein schon zu allgemeiner, zu umfassender Ausdruck geworden ist. Es umspannt zuviel, wird zu häufig gebraucht, als daß es spezifisch noch viel besagen könnte. Es steht «so scheußlich nackt» da, wie übrigens in Zeile 12 auch dieses selbst, ich weiß eben nicht, ob man hier, wie auch mit dem «Blaugesicht» so einfach hinweislos mit Klopstock kommen kann. Und (Zeile 14) in jedem Fleisch will der Avco-Mann sein Blutgeleucht Profit eben nicht zünden, es ist ihm innerlich nur egal, in welchem, und äußerlich muß es ein bestimmtes sein.

Na ja, insgesamt halte ich das Gedicht, dennoch für verwendbar, es wär auch schade um die Idee. Gelungen ist es hauptsächlich deswegen nicht, weils lapidar-sarkastische Brocken, treffende Zynismen, die der (gute) Leser mühelos in sich und auch sonst weiterträgt, nicht enthält. Bzw. weil Ansätze hierzu durch die Gesamtkonzeption erstickt werden. An sich richtig eingesetzte Fremdwörter wie zum Beispiel «stringent» spritzen eben leicht ihrer Umgebung einen duffen oder wo nicht duffen, unecht glänzenden Überzug auf. Oder geben dem Gesamtgebilde etwas Rinnsalhaftes; hier ein auftauchendes und wieder versickerndes Rinnsal, dort eins, sie laufen eher störend parallel, als daß sie sich etwa suggestiv kreuzten wie in Jens’ Strukturbildern. Auch haben Ausdrücke wie «Stringent» etwas Saugartiges, man bleibt beim Gang durch das Gedicht dort plötzlich etwas reichlich lange mit dem Fuß stecken. Mißlungen ist das Gedicht aber auch nicht, da es von vornherein eher zur Arbeit als zum In-sich-hinein-Schlürfen auffordert. Problematisch ist ja eben auch die Reimerei, die wenig Auswegmöglichkeiten läßt. Vielleicht sollte man sich mit zwei reimenden Zeilen im Vierzeiler begnügen, was allerdings mit der Sonettform nicht so ohne weiteres vereinbar ist.

Damit Schluß für heute, ich hab natürlich gut reden, hoffentlich keinen allzugroßen Kohl ...
 

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