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Friedrich Gottlieb Klopstock

Das Gehör.

An Hegewisch, den Blinden.


Es tagt nicht! Kein Laut schallt! Wer entschlöß sich schnell hier? wen erschreckte nicht

  • Das Graunvolle der Wahl?
    Doch sie sei dein Schicksal; du erkörst doch Blindheit? Des Gehörs Verlust
  • Vereinsamt, und du lebst
    Mit den Menschen nicht mehr. Wenn du als kein Gott bist: so wählst du recht,
  • Willst blind sein und entfliehst
    Den nur Sterblichen nicht. »Sehr ernst ist der Gedanke von dieser Wahl,
  • Versenkt tief mich in Schmerz,
    In zu trübes Gefühl! Doch was Wahl? Es umringt schon den Ahndenden,
  • Schon wehdroht mir die Nacht!«
    Das Licht schwand; doch entbehrst du das freundliche Wort des Geliebten nicht;
  • Nicht Stromfall, noch den Schlag
    Der geflüchteten Wolke, die donnernd sich wälzt, daß die Hütte bebt
  • (Ein Graun Zagenden nur),
    Und lautwirbelnd Sturmwind an Felsklüften herbrausen! nicht Waldgeräusch
  • Von Mailuft, die dich labt,
    Noch das frohe Gesing am verhohlnen Nestbau; nicht den süßen Reiz
  • Der Tonkunst, und, gewann
    Die Dichtkunst dein Herz auch, nicht den Reihen, in welchem sie schwebt, nachdem
  • Der Inhalt ihr gebeut;
    Entbehrst nicht die Bezaubrung, wenn beide, darreichend die Schwesterhand,
  • Durch Eintracht sich erhöhn,
    Und gelehriges Ohres, entzückt, die Drommet und das Horn vernimmt
  • Der Nachhall im Gebirg.
    Wer taub dann ihn gewahrt in der Freude, den Blinden, der trübt den Blick
  • Vor Mitleid mit sich selbst.
    Und du möchtest das Wundergebäude, worin die geregte Luft
  • Zum Laut wird, den du liebst,
    Wie gesunken dir denken, zerstöret, daß nun sich ihr Wallen dir
  • Umsonst naht und wie stumm
    Dir zerfließt; ah zerstört Gehörgang, die erklingende Grotte, drin
  • Den Ambos, und von ihr
    Zu dem Munde den Weg und an ihrem Gewölbe die Fäserchen,
  • Sie Aufhalt des Getöns,
    Daß es sanft sich verliere; die feineren Saiten, sie sind gestimmt
  • Dem Anwehn, das sie rührt,
    (Wie Windemen nicht allen gestimmt) den Vorsaal, wo es netzend rinnt,
  • Emporwallt, wie der Quell,
    Die gebogenen Röhren, der Schnecke Gewinde, die Scheidewand,
  • Das ganze Labyrinth?



     

    Text nach der von Paul Merker besorgten Ausgabe »Oden« im Kurt Wolff Verlag, 1913



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