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Enthüllung der Gedenktafel für Johann Georg Kerner
am Haus Großer Burstah 31, Hamburg,
am 7. April 2000
Rede von Hans-Werner Engels

Kerner-Plakette - Photo: Sebastian Engel

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Nachfahren von Johann Georg Kerner,

am 7. April 1812 um 4 Uhr nachmittags starb in Hamburg Johann Georg Kerner im Alter von nur 41 Jahren. Er hatte sich mit dem zu der Zeit grassierenden Fleckfieber infiziert. Über das Echo, das sein Tod auslöste, berichtet später seine Frau Friederike Kerner geb. Dunker an ihren Sohn Reinhold: »Vergeblich wäre es, wollte ich Dir eine Vorstellung von der allgemeinen Teilnahme geben, die sein Tod erregte. Die seiner Freunde ist erklärlich; aber der Schmerz der Armen, der untern Volksklassen war grenzenlos. Das Haus ward von ihnen überfüllt und mit Gewalt konnte man sie kaum aus der Stube worin die Leiche lag, entfernen. Sie wollten ihren Wohltäter nur noch einmal sehen, nur einmal noch seine Hand küssen. Die Furcht vor Ansteckung schreckte sie nicht.

Zwei Tage später, am 9. April, war Kerners Geburtstag. Vom Lande, wohin die Nachricht seines Todes noch nicht gedrungen war, wurden ihm ganze Körbe voll Blumen geschickt. Er erhielt sie alle in seinen Sarg und auf Blumen gebettet ruhte er aus, nach dem schweren Kampf seines bewegten Lebens.«

Wer war Johann Georg Kerner? Bis heute ist er, verglichen mit seinem jüngeren Bruder, dem romantischen Dichter und Arzt Justinus Kerner, vergessen.

An einige Stationen seines sehr bewegten Lebens, die ein Buch fällen könnten, sei erinnert. In Ludwigsburg geboren, war er ein Nachfahre von Michael Kerner aus dem Lungau (Herzogtum Salzburg), der vor dem Druck auf die dortigen Protestanten nach Württemberg floh.

Kerner besuchte zuerst die Hohe Karlsschule in Stuttgart und entschloß sich 1790, in Straßburg Medizin zu studieren. Die Begeisterung für die Französische Revolution führte ihn Ende des Jahres 1792 nach Paris. Hier erlebte er die Jakobinerdiktatur und berichtete fast täglich von den Ereignissen für die Kaiserlich-Privilegierte Hamburgische Neue Zeitung. 1794 verließ er die Hauptstadt der Revolution und wurde Privatsekretär des aus Schwaben stammenden französischen Diplomaten Karl Friedrich Reinhard, mit dem er 1796 erstmals in Hamburg eintraf. Während seines Aufenthaltes gründete er die »Philanthropische Gesellschaft«, eine Vereinigung, die auch Juden in ihre Reihen aufnahm und bald in den Verdacht geriet, ein gefährlicher Jakobinerklub zu sein, und daher verboten wurde.

1798 und 1799 weilte er an der Seite Reinhards in Italien, wo er zu wichtigen Sendungen und Aufträgen verwendet wurde. Wiederholt in Paris, begleitete er Reinhard dann in die Schweiz. Während all dieser Missionen war er auch Auslandskorrespondent vieler Zeitschriften. 1801 verließ er aus Enttäuschung über die Machtpolitik Bonapartes die Schweiz und wandte sich wieder nach Hamburg.

Als Arzt und Geburtshelfer, später u.a. als Armenarzt, wirkte er hier, ohne publizistischer Tätigkeit zu entsagen. Seine letzten beiden Lebensjahre waren überschattet durch die französische Okkupation Hamburgs (ab 1810): »Seine Düsternheit« – so berichtet seine Frau – »nahm seitdem immer mehr zu. Durch eine Überhäufung von Arbeiten suchte er den innern Sturm zu beschwichtigen und nun folgte eine körperliche Ermattung, die ihn wieder zur Verzweifelung brachte.« Er, der die Ideen von 1789 nie vergessen hatte, mußte nun miterleben, wie die Franzosen diese Ideale verrieten. Er litt.

Nach der Enthüllung der Georg Kerner-Gedenktafel: Hans-Werner Engels redet

Nach der Enthüllung
der Georg Kerner-Gedenktafel:
Hans-Werner Engels redet
Photo: Sebastian Engels

Johann Georg Kerner war eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Er faszinierte und bezauberte durch seine Ausstrahlung. Selbst Zeitgenossen, die sich nicht mit seinen radikalen Anschauungen anfreunden konnten, schätzten ihn. Er war in seiner Art ein überaus engagierter und genialer Mann, von einer ungewöhnlichen Hyperaktivität. Er verehrte und schätzte Frauen, er hielt sich in seinem Leben kaum an Normen: Er war ein sympathisches Genie und ein pragmatischer Philanthrop.

Sein Bruder Karl faßte zusammen: »Diese Eigenschaften in hohem Grade miteinander verbunden machten ihn zum Original, und in Vergleichung mit so vielen andern Alltagsmenschen zu einem seltenen Menschen«.

Die vernachlässigte Beschäftigung mit seiner Biographie und seiner Lebensleistung ist enttäuschend. Während über seinen Bruder Hunderte von Publikationen geschrieben wurden, kümmerte man sich wenig um ihn. Erst der jüdische Hamburger Historiker Adolph Wohlwill schrieb Ende des 19. Jahrhunderts die erste Biographie. Schließlich waren es die der marxistischen Ideolologie verpflichtete Hedwig Voegt und der nach Israel emigrierte Walter Grab, die an ihn erinnerten.

So kann die heute enthüllte Gedenktafel vielleicht auch dazu anregen und beitragen, sich erneut mit Johann Georg Kerner zu beschäftigen. An Quellen fehlt es nicht.

Rechte am Text bei Hans-Werner Engels