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Joist Grolle schreibt in der
Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte
Band 84 (1998):

Seit den Forschungen von Walter Grab ist der Publizist Heinrich Würzer (1751-1835) den Hamburghistorikern eine vertraute Gestalt. Grab hat ihn uns vorgestellt als einen der entschiedensten Wortführer der norddeutschen Jakobiner. Er gehörte danach zu den wenigen, die bis über den Thermidor hinaus zu den Verteidigern Robespierres zählten. Es überrascht, daß der Herausgeber der anzuzeigenden Edition, Hans-Werner Engels, diesem »Radikalen« jetzt vier Texte zuschreibt, die in der Zeitschrift »Altona und Hamburg« in den Jahren 1801 bis 1804 anonym erschienen sind. Es handelt sich um Beiträge, die allesamt ein Bild vom damaligen Altona vermitteln. »Meine Spazziergänge in und um Altona«, »Charakteristisch-topographische Fragmente über die Stadt Altona und deren Straßen und Pläzze von einem Reisenden«, »Ueber den Zustand unserer Judenschaft« und »Berichtigung einer Berichtigung, die Freimaurerei betreffend«.

Wer die zwar durchaus zeitkritisch, aber keineswegs revolutionär anmutenden Artikel mustert, wird zunächst gewisse Skepsis gegenüber der angenommenen Autorschaft haben, zumal wenn er in einem der Würzer zugeschriebenen Texte auf eine historische Reminiszenz stößt, in der von »Robespierreschen Mordthaten« die Rede ist. Doch es gelingt Engels, die Zweifel weitgehend auszuräumen. Er kann nachweisen, daß das von Grab gezeichnete Robespierrebild Würzers der Differenzierung bedarf. Gewiß wies Würzer blindwütige Angriffe gegen die Notwehrmaßnahmen der Revolution zurück, aber schon 1796 räumte er ein: »Ganz Frankreich zitterte vor dem blutdürstigen Robespierre und seinen Mordgehilfen«. Von diesem Urteil ist es nicht weit zu dem pragmatischen Zeitkritiker, der uns wenige Jahre später in den anonymen Artikeln von »Altona und Hamburg« begegnet. Nimmt man die textvergleichenden Analysen hinzu, die Engels anstellt, findet man sich von seiner zunächst überraschenden Zuschreibung am Ende überzeugt.

Die vom Herausgeber edierten Texte sprechen durch ihre lebendige Anschaulichkeit auch den heutigen Leser noch an. Durchgehend werden anhand vieler Beobachtungen das bescheidene Altona und das reiche Hamburg verglichen. Nicht zuletzt wird ihre unterschiedliche Verfassung (dort »aufgeklärt-monarchisch«, hier »reichsstädtisch-republikanisch«) mit kritischer Distanz kommentiert. Hamburg, so wenig der Verfasser seinen Vorrang bestreitet, schneidet dabei nicht immer vorteilhaft ab. Insbesondere gilt dies in Hinsicht der Judenpolitik. Während er die von der dänischen Regierung den Altonaer Juden erwiesene Toleranz auf das Höchste lobt, prangert er die im großen Hamburg gegenüber den Israeliten praktizierte Unduldsamkeit auf das Schärfste an.

Der kleine Robert Wohlleben Verlag hat sich mit der liebevollen Betreuung dieser Edition ein besonderes Verdienst erworben. Für den Benutzer bleibt kein Wunsch offen, von der Sorgfalt der Nachweise bis zu dem vorzüglichen Personen-Lexikon am Schluß des Bandes.