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Rolf-Peter Wille

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Vier grausige Sonette
Abgeschickt von Rolf-Peter Wille am 19 Januar, 2003 um 18:25:58

    Ein paradontitischer Gentleman

    So lieblich schmeckt sein Odem; oh so frisch
    Und locker hängt das Zahnfleisch ihm im Gaumen
    Wie ein Kompott aus weich zerkochten Pflaumen –
    Ein leichter Nachgeschmack von Blut und Fisch.

    Die Backenzähnchen sitzen sämtlich lose,
    Und seine Zunge sauget heimlich leis’ –
    Ganz wie bei einem alten Mümmelgreis –
    Belutscht sich nuckelnd die Paradontose.

    Doch ist sein Gaumen auch ein blut’ger Schwamm,
    So hindert es ihn nicht an dem Genuß
    Des Angenehmen; und er darf nicht schwächeln.

    Auch schmatzt er auf die Hand von der Madame
    Noch recht galant gar manch verschmutzten Kuß.
    Um seine Lippen spielt ein weiches Lächeln.

    Die Glatze

    Sie ringt verschwiegen, still, auf lichten Höhen.
    Nicht mit dem Schwert, nein – mit dem edlen Glanze
    Ihrer Erscheinung geht sie nun auf’s Ganze
    Und will die schütt’ren Haare ihm verwehen.

    Schon schimmert seine Kopfhaut rosa, nackt.
    Schon ist sie durch. Jetzt bleckt sie ihre Zähne.
    Pro forma zeigt sich noch manch dünne Strähne –
    Darunter glänzt es fettig und gelackt.

    Jedoch das soll ihn weiter nicht bewegen,
    Denn im Konzerte oder auch im Zoo
    Da ist sein steifer Hut ein wahrer Segen.

    Nur aus dem Spiegel in dem stillen Klo
    Da strahlt es ihm gar wunderlich entgegen –
    Ein eleganter, zarter Babypo.

    Fusspilz

    Hier liegt er, fiebernd, fast bereits im Koma,
    Und eine leise Wolke fauler Gase
    Umwabert giftig launisch seine Nase
    Mit einem süsslich käsigen Aroma.

    Da plötzlich reckt sich seine Hand zum Fuss,
    Durchzittert seine Zehen jähes Zucken.
    Sich Kratzen schmeckt dem zähen Jucken
    Wie eine pralle Frucht dem Tantalus.

    Und dann mit scharfen Krallen wie von Katzen
    Zerschabt er sich die Schuppen unter Johlen.
    Er stolpert fort und jault noch wie im Wahn.

    Und auch sein Maul, das schneidet dumme Fratzen.
    Was uns verbleibt von den verschwitzten Sohlen,
    Das ist zerrieb’ner Fungus – Parmesan.

    Der Untote

    Wo Egel gierig ekle Säfte saugen –
    Sieh, welch ein süchtig klebriges Gewürm –
    Verglüht im Tümpel giftiges Gestirn.
    Es glimmt ein grauser Mond in Unkenaugen.

    Und nachts am Sumpf im faulen Fieberschein,
    In feuchten Grüften modernd klamm gefangen,
    Von schimmelndem Geflechte sanft behangen,
    Verweset leise käsiges Gebein.

    Es muß um jenen Sumpf geduckt ein Wesen schleichen:
    In dunklem Traume, der sich selbst verdaut,
    Kann es sich dennoch niemals selbst entweichen.

    Welch Unhold, dem es vor sich selber graut!
    Und in dem Tümpel, in dem gräulich bleichen,
    Da hab’ mein Spiegelbild ich nie erschaut.

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Abgeschickt von Rolf-Peter Wille am 22 Mai, 2003 um 08:42:29

    Maskenzwang

    Und in der U-Bahn herrscht der Maskenzwang.
    Ei, welch ein steifer Fasching ohne Schwatzen!
    Sie stehen stumm. Es stiert aus bleichen Fratzen
    manch stumpfes Augenpaar, erstarrt und bang.

    Nur dumpfe Zungen murmeln von Verlusten,
    von Fieberbränden; und in den defekten,
    zerplatzten Lungen kratzen die Insekten.
    Es sticht, erstickt am trüben Schleim, das Husten.

    Und in der Klinik wandeln weiße Kittel
    wie müde Schemen, Wesen wohl vom Mars.
    Da speit es, Rasseln dann, ein hartes Röcheln.

    Und lautlos schleicht, mit einem bösen Lächeln
    der Sieger durch die öden Gänge: SARS.
    Fern hört man Schreie, draußen, vor dem Spittel.

    Rolf-Peter Wille (Taipei)

 

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