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Immer mal wieder rührt er sich in offenen Briefen, Leserbriefen oder geharnischten Sonetten in Sachen Arno Holz und wider den angemaßten literarischen Alleinvertretungsanspruch der Gruppe 47 und ihrer Adepten: Klaus M. Rarisch, streitbarer Berliner Autor, seinerzeit Herausgeber des ›Ultimistischen Almanachs‹, mit dem er auf Raoul Hausmann, den vergessenen und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder nach Deutschland zurückgekehrten Dadasophen Raoul Hausmann aufmerksam machte. Nun hat er sich mit dem Handpressendrucker Robert Wohlleben, der in Ottensen seine ›Meiendorfer Drucke‹ herausgibt, zu einem interessanten ›Donnerwetter‹ zusammengetan, einer kleinen Broschüre, die sich in launigen, kauzigen, witzigen, pfiffigen, abstrusen, grotesken, bissigen, humorigen und wie immer -igen Zweizeilern zum Allerweltsthema »Was uns der Himmel bringt« gefällt. »Besser schlechtes Wetter als gar keins«, heißt es im Vorwort – oder: »Und ist das Wetter noch so schlecht / Manchmal ist auch dieses recht.« Also: »Scheißwetter in Schleswig«, »Regen wie endloses Nähgarn / auf Fehmarn«, »es friert einem den Schwanz weg / in Wandsbek« (Gedenksekunde für Matthias Claudius), »polizeiwidriger Wind« pfeift »durch die Hafenstraße« in Hamburg, »Wetter zum Schämen / in Bremen«, »zum Befremden / in Emden« – und das permanente Tief bleibt nicht auf den Norden der Bundesrepublik beschränkt, sondern zieht sich munter in den Süden hinunter und in die DDR hinüber: »Nasse Schuhe / beschert Karlsruhe«, »Nichts zu hoffen, ach / ist vom Wetter in Offenbach«, »Es regnet stramm / in Cham« und »Doch am meesten / schneits in Dresden.« Also – kurz und präzise (als »Bild«-Schlagzeile aufgemacht): »Türken: Deutsches / Wetter Scheiße!!« Aber nicht nur von der Nordsee bis in die Alpen, sondern auch rund um die Welt sieht es nicht viel besser aus: der »letzte Bettel« ist das Wetter in »Seattle«, »roh« ist es in »Bordeaux«, ein »Drama« in »Alabama«, »Fäkalien« regnet’s in »Australien« – und immer so fort, was eben die Reime hergeben, auch wenn man sie sich (wieder daheim) mitunter schon etwas erzwingen muß: »Ewig regnitz / an der Pegnitz«. Bei so viel Unwetter hier und dort verwundert’s nicht – auch die Literatur- und Philosophiegeschichte muß neu geschrieben werden: »Vom Wetter zerhirnt, sprang in den Krater / Empedokles, Hölderlins Übervater« oder »Blochs Prinzip Hoffnung realisiert sich nie: / Die regenschirmlose Gesellschaft bleibt Utopie«. – Notgedrungen und konsequent bleibt also auch noch das abschließende ›Nachwort‹ der beiden Autoren in Regen, Schnee und Hagel stecken. Ein eigener, noch einmal einschlägiger Abschnitt ist der ›Scheißwetterdichtung in der literarischen Tradition‹ gewidmet, der selbstverständlich auch Goethe und Schiller zugeschlagen werden. Als eine bemerkenswerte philologische Ausgrabung dürfen jene zuerst 1838 im ›Poetischen Schatzbehälter des einfachen Volkes‹ gedruckten Klapphornverse gelten, auf die dann angeblich Heinrich Hoffmann mit dem ›Fliegenden Robert‹ seines ›Struwwelpeter‹ rekurrieren sollte: »Zwei Knaben gingen durch den Sturm / Der Eine trug den Regenschurm. / Der Andre wurde gantz durchnäßt, / Doch wenigstens nicht fortgebläst.« Den definitiven Beschluß bildet der gutgemeinte Ratschlag »Knirps raus« und ein alphabetisches Schlagwortregister, das es dem Leser ein Leichtes sein läßt, auch sich selbst in dieser permanenten Schlechtwetter-Landschaft am rechten Ort zu lokalisieren; ich mache für mich die Probe aufs Exempel: »Vom Wetter in Siegen / wirst du die Krätze kriegen.« Stimmt!

Karl Riha

Frankfurter Rundschau, Nr. 181, 8.8.1989

     
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