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Über die Sonette »Immobilieninserat« und »Im Turm«
von Klaus M. Rarisch
Aus Briefen an den Autor

Genial ist der Kontrast des Ignorabimus-Sonetts zu dem Titel »Immobilieninserat«, der tatsächlich wunderbar zum Anfang der ersten Zeile paßt: Ich such ein Haus. Allerspätestens bei der vierten Zeile ist man von diesem maklerischen Ausgangspunkt um Welten entfernt ... Sehr schön ist Zeile 11: Oktavius als der Sohn im achten Ton. Die Oktave heißt ja griechisch »dia pason«, und dia pason bedeutet wirklich »durch alle hindurch«. Nur begriffen die Griechen den letzten Ton als Wiederkehr des ersten: »Eines sind Anfang und Ende auf des Kreises Peripherie«, und vielleicht spukt etwas von diesem heraklitischen Wort noch in dem Wort »Die letzten werden die ersten sein«. Da sind wir wieder beim Weltgericht, von dem wir nicht wissen und nie wissen werden, ob da wirklich gerichtet/geschlichtet wird: Ignorabimus. -

»Der Turm«: Großartig erscheint hier das Turm-Motiv gebündelt: Hölderlins Turm am Neckar; die Türme Venedigs, die Türme Manhattans, der Babylonische Turm, und nicht etwa das platte »Amerika als neues Babel«, sondern das »Babylon der Träume« ... Die Zeilen »Ein Feuervogel, ein Hornissentier, / ein Etwas trifft den Turm, was wissen wir« sind ungeheuer einprägsam; die kleinen Tiere dieses Bildes evozieren seltsam genau das Bild der Flugzeugeinschläge in diese Türme babylonischen Ausmaßes; und sie stimmen wohl auch im übertragenen Sinn: Die weltpolitische Ohnmacht schlägt zu, und der Riese bricht ins Knie ...

Ernst-Jürgen Dreyer, 2.10.2001


Zum Sonett »Im Turm«: Der Anklang an »Hälfte des Lebens« fiel mir erst bei wiederholtem Lesen auf. Inzwischen dämmert mir auch eine besondere Bedeutung des Wortes »venediglich«: Die Polizei kennt die Vernehmungstechnik »venezianischer Spiegel«, bei welcher Dritte das Verhalten des Verdächtigen durch ein nur einseitig verspiegeltes Glas beobachten. Wer von außen hineinschaut, kann nicht erwarten, daß »die Welt ihn sieht«; für den drinnen ist die Welt »als Spiegel da«, wobei er allerdings sehr aufmerksam »beachtet« wird.

Ernst-Jürgen Dreyer, 7.10.2001


In den 8 Quartettzeilen finde ich Dich wieder, wie ich Dich kenne - den Dichter der Zeilen [Am Meer], die in diesen Tagen anfangen, sich so bestürzend zu bewahrheiten: »die Zeit, die nichts von Glück und Frieden wußte. // Und diese Zeit wird einmal wiederkehren. / Du kannst dich gegen das Geschick nicht wehren.« Der letzte blöde Erbe mit seiner frechen Bellkraft hat nur noch nicht mitbekommen, daß die Fehden feindlicher Geschwisterpaare aus Ruinenvorzeit unvermindert ausgetragen werden.

Ernst-Jürgen Dreyer, 9.10.2001
 

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»Im Turm« gehört zu den besten Gedichten, die ich seit Jahren gelesen habe - es ist da eine Quintessenz Ihres persönlichen Sonettenstils erreicht. Die 14 Zeilen können sich nicht nur quantitativ mit Shakespeare messen. Sogar das »Immobilieninserat« wird noch von ihm übertroffen, denn es kommt mit einfachen Worten und Vokabeln aus, wie sie tagtäglich fallen. Das »Immobilieninserat« zeigt sehr gut Ihre andere poetische Seite, die den gebildeten Kenner als Leser braucht, was ja auch nicht verboten ist, und das Gesamtwerk überhöhen kann wie hin und wieder ein Gespäch mit einem gelehrten Fachmann. [...] Glückwunsch!

Heinz Ohff (St.Ives), 9.10.2001

 

     
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