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Rosendorfer: Hilfskoch

Herbert Rosendorfer:
Der Hilfskoch oder wie ich beinahe Schriftsteller wurde.
München: Nymphenburger 2005, 2. Aufl. 2006. 357 Seiten.


In den geheimen Verliesen und Kasematten, die »Der Ruinenbaumeister« (so der erste Roman Rosendorfers von 1969) genial konstruierte, müßten noch viele spannende Geschichten zu entdecken sein. Diese Vermutung wurde nun vom »Hilfskoch« bestätigt, jedenfalls was autobiographische Romane betrifft.

Der Erzähler gerät als Taxifahrer mehr oder weniger zufällig (aber gibt es Zufälle?) mit dem Literaturbetrieb in Kontakt. Ein kauziger Verlagslektor klärt ihn auf: Verkaufen lassen sich nur Romane, die als stromlinienförmige Autobiographien sogenannten Topiwänt-Promis der Soßeijetie zugeschrieben, tatsächlich aber von Ghost- oder Ghostghostwritern verfaßt werden, weil die Promis nur sich darstellen, nicht aber schreiben können.

So nimmt der Erzähler dreizehn Anläufe zur fiktiven Autobiographie. Dabei figuriert der jeweilige Vater als Henker, Theologe, Straßenbahnschaffner und Schleusenwärter; die Sprößlinge versuchen sich als kriminelles Schwein, Exhibitionistin, Affe, Ungläubiger im islamistischen Deutschland, Journalist, Nachkomme Napoleons, Dekonstruktivist und Pop-Literat; schließlich tritt der Erzähler als sein eigener Enkel auf.

Nie jedoch kommt man über die Roman-Anfänge hinaus. Daher könnte der Untertitel des Buches lauten: Wie der Leser Schriftsteller werden könnte – wenn er nämlich das Talent hätte, die dreizehn Anfänge zu Ende zu schreiben, quasi als Über-Erzähler. Versuchen wir es mal! In der Rahmenerzählung taucht ein »Sechsfinger-Harry« auf (S. 188): Drei Finger pro Hand; mehr wird dem Leser nicht verraten. Dieser Sechsfingrige nannte sich aber nur Harry, weil ihm sein wirklicher Name zu preziös vorkam. Er hieß nämlich Aribert, auch wenn dieser Name erst 21 Seiten später fällt.

Überhaupt: Namen! Der Erzähler beteuert schon im ersten Satz, keine Namen nennen zu wollen, aber er verschlüsselt sie nur schwach. So erfährt man, wem (neben vielen anderen) seine besondere Abneigung gilt: Peter Sloterdijk (S. 202), Wolf Biermann (S. 245), Ephraim Kishon (S. 255), Elfriede Jelinek (S. 278) – und wen er als »herrlich und leider vergessen« schätzt, z. B. Robert Neumann (S . 202), der den Begriff »Literaturmafia« als Synonym für die Gruppe 47 prägte.

Herbert Rosendorfer
Herbert Rosendorfer

Sprachliche Kostbarkeiten aller Art zieren den Text. So heißt es über einen Adoptivgrafen, »wie schwer das Leben ist, wenn einem Generationen von Ahnen schultersitzisch zuschauen« (S . 75). Der Romananfang des Fährmanns am Nord-Ostsee-Kanal erstickt schließlich mitten nicht etwa im Satz, sondern im Wort in den dichten Nebelfäden: »Manche davon sind gelb, manche sogar schon grü« (S. 304). Auf dem Kanal wird übrigens Donna Leon von ihrem Commissario Brunetti eigenhändig erdrosselt (S. 303) – wobei eine Verulkung auch Agatha Christie trifft.

Rosendorfer hat hier insgesamt eine vergnügliche Realsatire auf den Literaturbetrieb vorgelegt, die allerdings hinter der Realität notgedrungen zurückbleiben muß. Denn niemand würde z. B. glauben, daß ein Lektor einen Lyriker wissen läßt, daß »bei diesen formal so meisterlichen und inhaltlich so intelligenten Gedichten« das Nein des Verlages dennoch »unumgänglich« sei. So wörtlich zu Papier gebracht am 2. 12. 1986. Ich will keine Namen nennen, aber der Lyriker war ich, der Verlag: Piper.

Klaus M. Rarisch


 

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