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Klaus M. Rarisch:
Zum Fall Biermann

Apropos mein Sonett »Schalck Ranicki«


Wie Biermann vom Geburtsjahrgang 1936, habe ich mich als Autor wie Biermann seit mehr als 30 Jahren politisch eingemischt, wenn auch mit konträrer Tendenz. In chronologisch angeordneten Anthologien stehen meine Texte direkt neben den seinigen. So bin ich zu einer öffentlichen Äußerung über den Fall Biermann berechtigt.

Bekanntlich hat Biermann in seiner Büchnerpreisrede am 19.10.1991 Sascha Anderson als »Arschloch« beschimpft und als Stasi-Spitzel denunziert *). Am 7. November brachte das Fernsehen (3. Programm Nordkette) in der Sendung »Bücherjournal« ein ausführliches Interview mit Biermann, der seine Vorwürfe gegen Anderson wiederholte, aber dafür wiederum nicht die Spur eines Beweises erbringen konnte. Was sind seine Motive für die unflätige Attacke? Vermutlich war es nur Mißgunst gegen einen jüngeren Kollegen, weil der Biermanns Beispiel nicht gefolgt war und die DDR nicht verlassen hatte. Anderson war im SED-Staat zweifellos ein unangepaßter Literat und wurde deshalb von der Stasi überwacht, was er öffentlich zugegeben hat. Dagegen will er seine Ostberliner Schriftstellerfreunde im Prenzlauer Berg nicht verraten haben. Sollte er in diesem Punkt lügen, müßten diese Freunde schon außerordentlich dumm gewesen sein, um nichts bemerkt zu haben. Verhaftet wurde keiner von ihnen, ebenso wenig wie Biermann vor seiner selbstprovozierten Ausbürgerung aus der DDR im Jahre 1976.

Ich wurde seit 1961 vom Westberliner Verfassungsschutz observiert, ohne mich zum politischen Märtyrer zu stilisieren. Biermann aber galt bei den Kalten Kriegern als Dissident und Kultfigur; er ließ sich propagandistisch optimal ausschlachten. Der angeblich politisch verfolgte Sänger konnte sich in seiner Ostberliner Wohnung vom West-Fernsehen filmen lassen und gab ganze Liederabende, die anschließend in Westberlin ausgestrahlt wurden, u.a. am 27.6.1972. Da behauptete er: man hat »die Dornenkrone mir verehrt – ich hab sie liegen lassen«. Tatsächlich jedoch hat er sie sich in Christus-Pose aufs Haupt gesetzt. Die West-Medien stellen den SED-Staatssicherheitsdienst sonst immer als allwissend und lebensbedrohend hin – im Fall Biermann aber will man uns glauben machen, Mielkes Truppe wäre derart unfähig gewesen, daß sie von diesen Fernsehaufnahmen nichts gewußt hätte oder sie nicht verhindern konnte.

Aber das deutsche Publikum ist so naiv, daß Biermann jetzt mit seiner Denunziation sogar Zustimmung erntet und kaum kritisiert wird. Niemand fragt sich z.B., warum Biermann sich als Opfer den relativ unbekannten Anderson ausgesucht hat, jedoch zu feige war, etwa etablierte ältere DDR-Kollegen (Heiner Müller, Christa Wolf, Stephan Hermlin, Stefan Heym etc.) anzugreifen. Wenn Lutz Rathenow in einem langen, schleimig formulierten und ebenfalls jeden Beweis vermissen lassenden Brief an Gauck (Tagesspiegel vom 31.10.1991) die Vorwürfe gegen Anderson wiederholt, so offenbar in der Absicht, sich bei Biermann anzubiedern.

Zum Büchnerpreis, der ihm als Prämie für politisches Wohlverhalten zuerkannt wurde, sagte Biermann in dem Fernsehinterview vom 7.11.1991 sinngemäß: Wenn man die Reihe der bisherigen Preisträger (zu denen 1960 immerhin ein Paul Celan gehörte) Revue passieren läßt, hätte er, Biermann, den Preis schon längst verdient; im Vergleich mit ihm, Biermann, zählten die anderen überhaupt nicht. Um seinen Größenwahn nicht allzu offenkundig werden zu lassen, fügte er als raffinierte captatio benevolentiae hinzu: Gemessen an Büchner hätte allerdings niemand den Preis bekommen dürfen.

Käme man auf die ganz und gar abwegige Idee, eines schönen Tages z.B. mir den Preis anzubieten, würde ich mit einem Offenen Brief antworten:

    Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt wollte mich in Anerkennung meines lyrischen Lebenswerkes mit dem aus Steuergeldern wohldotierten Georg-Büchner-Preis auszeichnen. Als armer Poet fühle ich mich sehr geehrt, jedoch sehe ich mich zu meinem größten Bedauern außerstande, den Preis anzunehmen. Die Akademie hat auf Betreiben von Marcel Reich-Ranicki den Preis im Jahre 1991 Wolf Biermann verliehen. Ich halte Biermann politisch für einen Opportunisten; literarisch für ein Protektionskind jener Mafia, die seit 1947 die deutschen Verlage und Medien beherrscht; künstlerisch für einen Scharlatan und menschlich für einen Heuchler; kurz: für eben das »Arschloch«, als das er im Oktober 1991 Sascha Andersen öffentlich beschimpft hat. Die Achtung vor Georg Büchner macht es mir unmöglich, in seinem Namen einen Preis zu empfangen, der zuvor durch die Verleihung an Wolf Biermann geschändet wurde.

Aber unbesorgt: Niemand wird mir jemals den Preis anbieten. Vielmehr werden meine Feinde jetzt die Redensart vom Fuchs und den sauren Trauben bemühen. Doch auch diesem Hohn setze ich mich gern aus, wenn ich nur die drohende Entwicklung der deutschen Gegenwartsautoren zu Kriechern und Denunzianten ein wenig bremsen oder verlangsamen kann.

11.11.1991

*) Anmerkung von RW:
Mit Helmut Schmidt könnten wir gut und gern das Thema »Wolf Biermann & Arschloch« ad acta legen und uns auf die »deutsche Identität« zurückziehen, die HS zufolge in WBs Zivilcourage ihren genuinen Ausdruck finde.
 

Ehrenbürgerschaftliches Postscript
aus dem Januar 2007:

BERLIN

Der Senat muß es bekunden:
Wir vermissen sie, die Mauer!
Seit sie fiel, beherrscht uns Trauer.
Wir gestehen unumwunden:

Niemals werden wir gesunden.
Denn des Ostens kurze Dauer
und des Westens lange Lauer
machten uns zu Vier-Hartz-Hunden.

Einer, der hier mal erschien,
der nach Ehre giert, brüllt: hier!
Daß die Ehre er verdien,

bleib er Mann und trink er Bier.
Unsre Hauptstadt, dies Berlin
glaubt an sein Gitarrentier.

Klaus M. Rarisch
 

Büchnerpreis
für Klaus M. Rarisch
auf Initiative von Hans Eisel und Herbert Laschet Toussaint (HEL)
empfohlen von
Karlheinz Deschner, Ernst-Jürgen Dreyer, Jürgen Lodemann,
Walter Münz, Heinz Ohff

 

     

Remington-Anspitzer

 

Klaus M. Rarisch bei fulgura frango

 

 



 


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