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Aus dem Sonettwerk von Klaus M. Rarisch

MEMENTO MORI

Die grünen Hüpfer zahlen Alimente,
und sind sie pleite, na, dann zahlt der Staat.
Sie denken allenfalls: Ich bin auf Draht.
Es stimmt schon, daß ich früher mit ihr pennte,

doch gut nur, daß ich mich beizeiten trennte.
Den Löffel habe ich schon längst parat –
ich geb ihn ab, wird alles mir zu fad.
Und stetig schrumpft die kümmerliche Rente.

Die Älteren, von Wichtigkeit durchdrungen,
sie bleiben Futter für den finstren Feldherrn.
Die besten Taten sind noch stets mißlungen.

Zwei Sensenstreiche galten alten Eltern,
der dritte hat die junge Frau bezwungen.
Schwarz schäumt der Wein, den wir barfüßig keltern.

Der Autor merkt an

 

ZYNISCHE ZITATE

 


Zum Zauber Satanischer Verse
 

Zitierend einen Kaiser von Byzanz –
hat so der Papst das Christentum verteidigt,
auf dessen Heilsparolen er vereidigt?
Entkleidete er sich des Amtsgewands,

entledigend sich eigenen Verstands,
hat er die Stimme wölfisch nur bekreidigt,
bestreitend, daß er den Islam beleidigt?
Vielleicht aus Neid auf fremden Glaubens Glanz?

Entehrt das Schwert der Mensch, der Frieden lehrt?
Verdient der Gläubige das Paradies
als Mörder, wie es der Prophet verhieß?

Die Heiden, die ein Märtyrer bekehrt,
sind sie vor der Verdammnis nun bewahrt?
Und bleibt dem Teufel schließlich nichts erspart?


BEHAUST

Der Garten ist zwar winzig, doch autark.
Nur Wasser geb ich ihm, bin ich zu Hause
in dieser alten Hütte, meiner Klause,
Da sitze ich allein und fühl mich stark,

und kommt der Tod, sei er nicht allzu arg.
Ich zögre: schreib ich oder mach ich Pause,
doch dann ergötz ich mich am kargen Schmause.
Und über mir hängt licht ein Kindersarg.

Seit langem, glaub ich, birgt er teure Seelen,
birgt Goethe, Platen, Benn und Arno Holz.
In ihrem Schutz und Trutz kann mir nichts fehlen.

Mag auch die Welt mir Ruhm und Würde stehlen –
was liegt daran? Ich bleibe schwach, doch stolz,
und muß mich vor mir selbst nicht mehr verhehlen.

 

STAUB

Die Stunde schlägt: du mußt allein verreisen.
Wohin? Du ahnst nicht, weißt nicht, wirst nicht wissen,
spürst nur: ein Rattenzahn hat dich gebissen;
dein Schattenwahn drückt schwer wie reines Eisen.

Ein jeder, glaubst du, wird das Seine preisen,
bis von den Seinen er hinweggerissen.
Doch wer, was glaubst du, wird nun dich vermissen?
Du fandest nicht, du nicht: den Stein des Weisen.

Was hülfe es, nun jenen Gott zu lästern,
den du nicht kennst, der dich nicht kennen will,
da keiner mehr um dich noch flennen will?

Was dir als Höchstes galt, ist Schnee von gestern.
Du wolltest Gutes tun, so glaubst du, schwörst du,
und weißt es nicht: allein zum Staub gehörst du.

RW respondiert

 

DIE SPALTUNG

für Ernst-Jürgen Dreyer

Wann gab es jemals konsistente Leute?
Ist nicht, wer lebt, gehalten, sich zu spalten?
Was glaubensfest gesungen alle Alten –
ja, zwitschern das die Jungen auch noch heute?

Ist man dem Wahnsinn nicht bestimmt zur Beute?
Weiß man, wie die Gewalten heute walten?
Denn warum herrschen finsterste Gestalten?
Und liebt der Himmel noch die Himmelsbräute?

Braucht wer noch Sinn? Ist wer noch gestrig kleinlich?
Ist nicht ein Rest von Sinn zu tragen peinlich?
Der Raum von Baum zu Baum nennt sich Allee.

Den Sinn sucht einsam dort ein Wanderer.
Es findet Sinn allein ein anderer.
Wer nichts hat, gründet eine Ich-AG.

 

DAS GLÜCK

Ach, mußte ich die Liebste überleben?
Ich Ungeziefer, Bücherwurm, ich Nichts!
Ich Assel, streng verbannt vom Quell des Lichts,
ich wollte mich dem Heil nicht übergeben.

Mein Frevel war das freche Widerstreben,
zu beugen mich dem Urteil des Gerichts.
Ich leugnete die Lehre des Verzichts,
und winkte Rettung mir, stand ich daneben.

Denn ich Kamel, ich mied die Nadelösen,
verschenkte die Erlösung von dem Bösen.
Zwar hört ich eine Stimme, die mir raunte:

Das Glück, ersehn es, fang es dir, erstreb’s!
Doch meine Antwort, die ich laut posaunte:
Wie glaub ich das, da Gott erschuf den Krebs …

 

WEIBSBILDER

Franziska war des Teufels Großmama.
Sie widerstand gesetzlichen Verboten,
umschlich die Polizei auf leisen Pfoten,
und gab es was zu holen, war sie da.

Sie war das bunte Nein zum grauen Ja
und wußte jeden Freiraum auszuloten.
Sodann Renate: abhold allen Zoten,
blieb sie dem strammen Leben immer nah.

Ich sah Regina noch, benommen zwar,
doch war mir klar: sie war es, wie sie lachte.
Sie saß am Brett, ich nahm’s verschwommen wahr.

Sie spielte überlegter, als ich dachte,
und als ihr Bauer durchgekommen war,
da wurde sie zur Katze. Ich erwachte.

Heinz Ohff und Ernst-Jürgen Dreyer
nehmen in Augenschein

 

BERUFSRISIKO

Als Amtsbekleider zu belangen bist
du schwer, und gar als Multipräsident
von Aufsichtsräten und Ministern nennt
man dich den Mann, der nicht befangen ist.

Allein um dein Talent zu bangen ist,
wenn man als Boß im Fußball dich noch kennt.
Man wählt dich ab! Nur deine Frau noch flennt,
wenn sie nicht vorher schon gegangen ist.

Ein anderer im Auslandseinsatz dient.
Sein Risiko: die Gegend ist vermint.
Die Pflicht erfüllend, fliegt er in die Luft.

Staatstrauer, Halbmast, Grabspruch sind sein Lohn.
Der Kanzler redet – für die Witwe Hohn!
Doch wann fährt unser Schurkenstaat zur Gruft?

Unerbetene Antwort von Kurt Mejstrik
 

ZWEI RINGE

Am Finger trag ich glänzendes Metall,
das fesselt mich an eine feuchte Frau.
Sie ist halb Fisch, halb Fleisch, nicht heiß, nur lau
und spielt mit meiner Treue Fangeball.

Läßt sie mich los, stürz ich im freien Fall
ins bodenlose Dämmernebelgrau,
treib hodenlose trübe Nabelschau:
Ich bin ein Nichts und wäre gern ein All.

Wo blieb der Zwillingsring, der deinige?
Du hast ihn wie ein Spielzeug abgetan,
als wäre ich nicht der alleinige,

der schwarze Schwan im See aus Lebertran,
die fadenfühlige Marionette,
die dir im Pelz fest eingekrallte Klette.

1. Mai 2000

Klaus M. Rarisch kommentiert SELBST ...
und Wohlleben antwortet im Vorgriff

Schon längst vorher hatte auch HANS ADLER
ein Wort dazu
(und William Shakespeare sowieso)
 

WANDLUNG

Ich fliege eine Stunde über Land,
nicht achtend des Gewölks mit dunkler Randung,
denn das Geschick verheißt mir sanfte Landung.
Nachdem ich Schloß und Riegel überwand

zur Kemenate, wo uns übermannt
in Meereskühle heiße Liebesbrandung,
da lös ich ihr die seidene Gewandung,
den Tand, mit dem Moral sie überspannt.

Und siehe: schien ihr Antlitz schon verblüht –
jetzt färbt es sich nach Mädchenart mit Gluten.
Sie lächelt, ihre Jahre sind verschwunden,

und alterslos ist sie nicht länger müd.
Sie schließt die Augen, will vor Glück verbluten,
hat endlich das Vergangne überwunden.

Hotel Stadt Hennef 15. Juni 2000

Antworten von
Robert Wohlleben
und
Lothar Lippman

EVOLUTION

Vom Urknall über Alltagskatastrophen
mäandert man sich aus Neandertal
empor zur Willensfreiheitsqual der Wahl,
zum Hochgebirgsbewußtseinsphilosophen,

befördert Gegenstrophen in den Ofen
und überläßt zum Fest dem Marterpfahl,
was Zweifel weckt an dem realen Kraal
der Machtgezieferhuren und der Zofen.

Die Huren, die zur Nacht der Macht entfuhren,
geröllschlammniederdonnernd, werden Muren,
begraben Biederfrau und Biedermann

und hinterlassen krasse Wüstungsspuren.
Die Bürger bauen Dämme, beten Suren.
Man dichtet, wo und wann und wie man kann.

Aus dem August 1998

Ernst-Jürgen Dreyer über »Evolution«
... und was HEL, Heinz Ohff,
Alexander von Bormann, Kurt Mejstrik
Ingeborg L. Carlson, Lothar Klünner dazu sagen
 

IMMOBILIENINSERAT

Ich such ein Haus, das mir den Frieden schenkt,
den Ruhesitz für meine späten Jahre,
in dem ich tote Freunde um mich schare,
in dem mich lautes Leben nicht mehr kränkt.

Wenn sich mein Blick in Chroniken versenkt,
daß sich Ruinenvorzeit offenbare
mit Fehden feindlicher Geschwisterpaare,
mit morschen Stammbaumästen, krumm, verrenkt,

so frage ich den letzten blöden Erben:
Wer bist du, Hund, mit deiner frechen Bellkraft?
Du Sohn im achten Ton, Octavius!

Schleicht dein Geschlecht nur schlechterdings zum Sterben?
Und eure Ronconitische Gesellschaft?
Wer richtet? Schlichtet? – Ignorabimus.

Hennef, 5. September 2001

Klaus M. Rarisch kommentiert selbst
 

IM TURM

Die Hälfte meines Lebens wachte ich.
Es schien mir wichtig, wie die Welt mich sah,
sie war für mich noch nicht als Spiegel da:
Ich wünschte töricht, man beachte mich,

bestritt die Wahrheit; man belachte mich.
Jetzt wünsch ich lediglich, wie Friedrich H.,
ich wär venediglich dem Ende nah.
Im Turm zu dämmern, so gedachte ich.

Ein Feuervogel, ein Hornissentier,
ein Etwas trifft den Turm, was wissen wir …
Vergessen sucht ich, doch nun seh ich klar:

Uns ist gegeben Ruhe nicht, nur Grauen.
Es mögen andre neue Türme bauen.
Das Babylon der Träume, ach, es war.

Hennef, 14. September 2001

Ernst-Jürgen Dreyer nimmt
»Immobilieninserat« und »Im Turm«
in Augenschein.
Heinz Ohff stimmt ein

 

     
Remington-Anspitzer  

Klaus M. Rarisch bei fulgura frango

     

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