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Der Panther ist los!

Rudi Faßbender: Wir sind Panther!

Die bisherigen Germanisten haben den Rilke nur unterschiedlich interpretiert. Es kommt darauf an, ihn zu verändern!
(Rudi Faßbender)

 

Das »Opfer«

Der Panther (im Jardin des Plantes)

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Rilke mit seinem ganz eignen, oft wehmütig verwehenden Ton »reizt« zu Parodien, seien sie nun hämisch oder einfach nur komisch. Karl Wolfskehl, Robert Neumann, Kurt Pinthus, Hanns von Gumppenberg und gewiß noch manch andre »vom Fach« haben seine Lyrik und gelegentlich auch seine Prosa parodistisch auf die Hörner oder auf die Schippe genommen. Doch zuerst eine Internetsuche nach weniger Kanonischem. Das führte mich zu fanfiktion.de: Da finden sich vier Panther-Variationen, »im Rahmen einer Schulprojektwoche entstanden«, wohl 2012. Die zweite:

    Die Kuh,
    Im Milchviehstall

    Ihr Herz ist vom Weggeben der Kälber,
    so traurig geworden, sie zerfrisst der Schmerz.
    Ihr ist, als ob es nur dieses Quälen gäbe
    und im Inneren des Menschen kein Herz

    Das Auftreten der eleganten Hufe
    von Mist und Hufrehe schwer verdreht.
    Ist wie ein elendig Kampf um eine Mitte,
    in der verstört ein soziales Tier steht.

    Nur manchmal schiebt die Stalltür sich auf,
    dann tritt ein Mensch hinein.
    Treibt die mastitiskranken Kühe,
    die bald aufhören werden zu sein.

Die Autorin merkt an, daß ihr die Bezeichnung (»laut meinem Lehrer«) Parodie unpassend erscheine, weil doch »der Sinn dahinter ernst und ernstgemeint ist«. Damit hat sie recht, denn ihre Umdichtung ist keine »verspottende, verzerrende oder übertreibende Nachahmung«, wie Gero von Wilpert die Parodie definiert, sondern schreibt das Rilkesche Motiv zuspitzend fort. Ebenfalls von ihr die Variation »Das Krokobaby in der Lederfarm, Australia«, dem bestimmt ist, als Handtasche zu enden. Mit demselben Tenor die anderen beiden Gedichte, anscheinend von andren verfaßt. Im einen geht es um ein Huhn in Massenhaltung für Kentucky Fried Chicken, im andren um Ratten im Forschungslabor, denen in der letzten Zeile Gift gespritzt wird. Alles Motive, an denen nichts zum Lachen ist.

Auf vergleichbaren Mißstand weist Rudi Faßbenders erste und insofern ebenfalls nicht Parodie zu nennende Variation:

    Sautransporter auf der A 2 bei Lauenau

    Ihr Blick hindurch des Sautransporters Stäbe,
    als ob sie wüsste: Es geht um die Wurst.
    Und dass die Turmuhr nur noch ein paar Schläge gäbe,
    bis sie gebolzt für Bauer Bargels Bargelddurst.

    Nun guckt sie mich noch an, sieht aus wie: »Bitte!
    Hol uns hier raus, so lange es noch geht!«
    Auf dritter Spur … da überholt ein Brite.
    Pigfast is three times better than too late.

    Ganz stecum schleicht das Bild durch die Pupille
    und nistet sich im Achterstübchen ein.
    Doch ists vergessen, liegt erst vor der Brille
    ein saftig Stück von allerfeinstem Schwein.

Danach wird’s dann insofern wirklich parodistisch, als eher banal Alltägliches mit dem Gestus des Rilkegedichts daherkommt, mit Gedichttiteln wie »Die Kanzlerin«, »Der Wähler«, »Dichter im Café Arco in Prag« und »Der Radiohörer«. Und wie sich seit »Sonette an tOrpheus« denken läßt, Faßbenders Transposition der »Sonette an Orpheus« ins Fußballerische, kommt auch dieser Lebensbereich zur Sprache, unter anderem »festgemacht« am Torhüter Sepp Maier:

    Die Katze von Anzing

    Sein Blick ist vom Vorüberflug der Bälle
    so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
    Ihm ist, als ob der schweren Bälle Welle
    ihn hilflos überquellend überfällt.

    Des Gegners Tanz papieren leichter Schritte,
    fast sindelar auf engstem Raum gedreht,
    verwirbelt Freund und Feind, bis aus der Mitte
    erneut ein Schuss in den Triangel geht.

    Nur manchmal blockt ein Bein die delle Pille,
    er atmet durch, denkt »Na, datt war ma Schwein!«.
    Entspannt nur kurz und in der Stille
    wünscht er, es möge Sabbat sein.

Das vorletzte Gedicht – in der Erstausgabe von 2018 das letzte, dann war 2020 »Panthe(re)mie« mit Bezug auf die Covid-19-Pandemie nachzutragen – wendet sich der Frage zu, was der eingesperrte Panther täte, ließe man ihn frei:

    Der Tierpfleger

    Er sieht, der Blick des Panthers ist gebrochen:
    »Der denkt nur noch in Stäben seine Welt …!«
    Dies Tier, was einst den Ur-Urwald gerochen,
    nun im Karree von Gaffern dicht umstellt.

    Absent sein Gang, als ob er ihm entglitte.
    Selbst wenn man ihn befreite, wüßte man,
    ob er hindurch geschockter Glotzer Mitte
    in Freiheit schritte fort …? Na ja und dann …?

    Der Pfleger pirscht sich stracks durch die Pupille
    in Panthers Hirn – erschrickt durch Mark und Bein:
    Der risse erst den Dicken dort … mit Brille!
    Mong Djöh, das könnte glatt ja ich, der Dichter sein …

In seinen Panther-Variationen hält sich Faßbender durchgängig ans abab-Reimschema der Strophen Rilkes, nicht ganz so konsequent an dessen metrisches Schema des Gedichts: elf Zeilen mit fünf Hebungen, die letzte mit vier … als fehlten dem Dichter am Schluß die Worte. Faßbender zu den Freiheiten, die ihm da unterlaufen: »Es sollen ja auch keine Gedichte für die Ewigkeit sein …« Und: »Mong djöh, ick hab mir an Rilke verjangen!«, bekennt er im fünfstrophigen, für Faßbender etwas untypisch (?) in Berlinisch gehaltenen Anhang »Der Parodist zeigt Reue«.

Drei seiner fünfzehn Variationen sagt Faßbender am Kieler Literaturtelephon auf. Und – um sicher zu gehen – auch dort. —

Zum Schluß noch eine Beobachtung im Tierpark Schönbrunn, achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Vor dem Pumagehege stehen ein Mann und ein kleines Mädchen, schätzungsweise knapp zehn Jahre alt. Oben auf einer entrindeten Baumleiche regungslos ein Puma, Blick unverwandt in unbestimmte Weite gerichtet. Der Mann rezitiert Rilkes Panther. Das Mädchen darauf: »Papi, du weißt immer so traurige Gedichte.«

Robert Wohlleben

Rudi Faßbender: Wir sind Panther! Variationen von Rilkes Der Panther. Prasdorf in Holstein 2020. 16-Seiten-Heft mit Kartonumschlag. Bezug durch Rudi Faßbender, Zum Wendeplatz 1 a, 24253 Prasdorf; E-Mail PrasDorfpoet@t-online.de.