Zu www.fulgura.de mit Navigations-Kolumne

Eiderstedt, 1987

Ad me ipsum


An mich

Lasierter Himmel ohne große Farben
bleicht langsam hin – das sagt mir wohl was jetzt?
Ich spür zu scharf das Kinn, rasurverletzt.
Verheilen tuts bereits für weitre Narben.

Der Schmerz ebbt weg, wie andre längst verdarben,
in Hirnverliesen erst mal weggeätzt.
Da steh ich da: versetzt, verpetzt, vergrätzt
und weiß nicht mal, wohin die Schmerzen starben.

Die Bomben, schlechte Zeit, die jungen Jahre
verschwimmen kaum und gehn doch in die Binsen,
vom Rand her nimmt die Schärfe mählich ab.

Sie solls nicht – doch wie oft ich mich auch paare
und fruchtbar bin: Mein väterliches Grinsen
geht schief, weil ich zu knapp nach Atem schnapp.


Altwerden

In Kladde ohne Ton gefragt: was war?
Den Tigern springen Funken von den Ketten.
Die Stadt brennt. Schwarzgepudert die Reinetten.
Der Sterne flic flac. Falsch und wunderbar.

Mit Flügeln schlägt ein abgeknallter Star.
Den Triggerfinger kann nu nix mehr retten.
Dann dreh die Platte um. Laß Ella scatten.
Im Jive verkettet jetzt sich Paar um Paar.

Im Schädel bleicht die Mahd der Bordgeschütze.
Kartoffelsackbedeckte Haufen. Kamen
von fern hierher. Wo Tod das Leben frißt.

Ich leb. Den Schädel deckt die Baskenmütze.
Die Bilder führ ich mit. Und all die Namen.
Von der und dem. Da weiß ich doch: was ist.

(etwas Kommentierung für Ernst-Jürgen Dreyer)


Solitär

Wie ’s Amen in der Kirche dieser Clou:
Der Kreisel kippt mir von der Nasenspitze.
Ich kuck: Ein Ende haben all die Witze.
Ich pack die Siebensachen, schnür die Schuh.

Ich kauf mir keine Kuh, kein Kalb dazu.
Mein Geld gehört in Fensterbrettes Ritze:
Gut’ Nacht, Marie, es war sehr nett … ich flitze!!!
Dann heißt es: neues Spiel und neuer Schmu!

Mit Zug und Gegenzug gehts zum Entzücken:
Die Vierung Morgen, Mittag, Abend, Nacht
ist leicht zerpflückt, mit leicht verschmerzten Stücken

hab ich als Schwarz und Weiß das Spiel gemacht
und seh sich sachte auftun letzte Lücken.
Der Gegner ist am Zug. Und lacht. Und lacht.


An mich

Das ist noch lang nicht neu und leimt mich nicht:
Du weißt es allemal, und ich bin Waise.
Wer piept? Ach Mensch! Ist meine weise Meise,
flicht sich ein Nestlein, weise, kraus und schlicht.

Wer soll allein drin wohnen? Hälts auch dicht?
Ach Mensch, mein Mensch, geh ab, heb ab und kreise
hoch überm Baumbestand, da geht die Reise
away and up in Interspace und Licht!

Und Übersicht gewinnst Du dann am Ende:
Der Hag ist Haar, Gebirg ist Brust und Lende
– und was der Wandersee im Gobi-Bauch?

Du regst die Flünken, halt ich mal die Hände,
daß ich nix seh und daß wie nix verschwände
Dein Flügelschlag leichthin in leichtem Rauch.


An mich

Zu leben heißt, den Haken reinzukriegen.
Ich schlag ihn kaum, bevor er mich erwischt.
Das siegt sich schließlich hin ins Unterliegen:
Da brennt Ersticktes. Was da flammt, verlischt

zu Glut. Von der dann endlich Funken steigen,
als wär ein Meer am Leuchten und die Gischt,
wie sie ins Licht sich aufwirft, wollt mir zeigen,
wie sie zerstäubt in nix und wieder nischt.

Am Ende? Nee, da frag ich nicht, wie dies
verstanden sein will, sondern setz den Schritt
wie immer knirschend stracks in Sand und Kies.

Entlang dem Ufer. Weiter noch, als mit
verfrästem Rand sich jemals rechnen ließ.
Und drüber raus, wo Schritt mit Tritt sich schnitt.


An mich

Es braucht, bis eins erkennt: Das nennt sich Welt,
was da gebraut ist, recht und schlecht vergoren,
was stets die Augen auswäscht und die Ohren
verrauscht, bis aller Raum von Restlicht gellt.

Was wuchs und wächst aus unurbarem Feld,
zerfurcht von Schmerz und Lust, hat sich zerfroren,
ist neu getaut, sproß auf, gab sich verloren
ums liebe Leben und auf sich gestellt.

Was je im Lauf von leicht zählbaren Jahren
den Weg verlegt und gar verhaut, hat sich
verfangen im Geflecht von Haut und Haaren.

Ein Log entsteht, das wie ein Kupferstich
die Schwärze hält, das Helle auszusparen.
Ein Clair-obscur wächst an und nennt sich Ich.


An mich

Zu gut verschlüsselt ist das Sternenzelt,
als daß sich lesen ließe, ob von klaren
Bescheiden jemals Spur und Ahnung waren …
was solls, daß so was mir den Kopp zerspellt!

Gehört all Selbstberechnetes zerschellt?
Vernarbte Würgemale von Kandaren
verraten, wie uns dann, wenn grad die raren
Versprechen blühn, Verhängnis Hoffnung schwellt.

Die Atmung hetzt, und Schweiß tritt aus den Poren,
verrinnselt hin zu tief vertorften Mooren,
versickert sich, wo Felsen Gletschern wich.

Dort wuchs Geringes, aber wuchs und glich
Verwunschnem, wenn das Rudel Carnivoren
in engen Kreisen uns ums Biwak strich.


Entscheidungen (An mich)


RW spricht


Macht hoch die Tür! Wars nicht allmählich Zeit,
die rein- und rauswolln ab- und auszuzählen?
Sie nach Bedarf zu rädern und zu pfählen,
bis daß kein Hansel mehr zum Himmel schreit?

Bloß keine Bange jetzt: Die Tor macht weit!
Hier gehts nicht drum, das liebe Herz zu quälen.
Hier heißts, gelassen die Courage stählen,
ob auch ein Abgrund Gift und Galle speit.

Auf Grund des Dolus in Verzicht und Pflicht
zur Last gelegt: der Sünden Siebenzahl
in all dem Wirrsal zwischen Sein und Schein.

Verspricht die Rolle für das Selbstgericht
die Aussicht auf gerechtes Tribunal? –
Ich weiß schon: Einer muß der Bluthund sein.


An mich

Mit schmalgezognen Augen angeschaut:
Da führt an Knicks entlang der Weg ins Trübe.
Der Himmel graut, als ob er Regen übe.
Die Ferne ist mit Waldrand zugebaut.

Odeur von Acker, Moderlaub und Kraut
entführt ein Wind für seine steten Schübe.
Das Widerspiel der Barometerhübe
verwirrt das Haar und überzieht die Haut

mit Spinnennetz von abgetanem Trauern,
als wär im Muster zaghaft durchgerieben,
was je tief unten Schichtung brechen ließ.

Der Bruch verwuchs. Die Spuren überdauern.
Das Spiel der Schmerzphantome ist geblieben ...
von dem, was ehmals Mark und Bein durchstieß.

für Robert Biedermann
Ottensen, 12. – 14. I. 2005


Leichthin gesagt (An mich)

Der Prediger weiß Zeit für vielerlei …
zuviel für unsre zweieinhalb Minuten?
Mißlingt die letzte halbe im Vermuten,
wie nicht zu hassen, doch zu lieben sei?

Grad angezählt, ists aus und stracks vorbei
mit dem Gewirr des Bösen, Faden, Guten.
Erinnerung schwoll an. Um zu verfluten.
Längst angeknickt, verdirbt das Weltenei.

Die Bilder stauen sich in blindem Schweigen.
Sie überlagern sich, bis irgendwann
und spät Schimären aus den Chiffern steigen.

Sie ordnen sich im Kreis und treten an
zum Tanz. Beschließen aber wird den Reigen
dann sowieso der Bi-Ba-Butzemann.

Ottensen, 26. VI. 2012
Für Karl Peter Grune in Geneva, N. Y.
 



 

Rechte bei mir