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Gunter Hirt schreibt im
Mitteilungsblatt der Freunde des Christianeums:

Im Jahre 1803 erschien in der von dem jüdischen Journalisten und Schriftsteller Karl Julius Lange gegründeten Zeitschrift »Hamburg und Altona« eine Artikelserie mit dem Titel »Charakteristisch-topographische Fragmente über die Stadt Altona und deren Straßen und Pläzze von einem Reisenden«. Diese »Fragmente« entstanden – wie viele andere zeitgenössische »Stadtführer« auch – gleichsam in Nachfolge des ersten Werkes dieser Art (Altona betreffend) »Versuch einer historischen Beschreibung der an der Elbe belegenen Stadt Altona« (1747) von Ludolph Heinrich Schmid, das sich in der Christianeums-Bibliothek findet.

Auch in den »Fragmenten« wird unserer Schule Erwähnung zuteil: »In dem geräumlichen Hörsaale des einen Seitengebäudes, werden bei gewissen Gelegenheiten öffentliche Reden gehalten. Bei denjenigen, welche bei Gelegenheit des letztern Geburtstages des Königs, von dem Professor Feldmann und von einem Gymnasiasten vor einem zahlreichen Auditorium gehalten wurden, und welchen eine schöne Musik vorangieng, hatte ich das Vergnügen Zuhörer zu seyn. Das Thema des Professors war, wo ich nicht irre, das wahre Glük des Staates; und das des Gymnasiasten, der wahre Patriotismus. Wenn die erstre Rede gelehrter war, so schien letztre mir mehr zum Herzen zu gehen. Beide waren sehr gut ausgearbeitet; und besonders berührte Herr Prof. Feldmann manche Wahrheit mit edler Freimüthigkeit. – Was mir bei dieser Gelegenheit auffiel, war der Kontrast zwischen der vorhergegangenen höflichen Einladung der Redner an das Publikum, und zwischen der eigennüzzigen Ungeschliffenheit der Stadtsoldaten, die der Ordnung wegen an den Eingängen des Saales postirt waren.«

In ähnlicher Mischung von ausführlicher Beschreibung und teils vorsichtiger, teils kritischer Charakterisierung geht der Autor auf fast jede Straße Altonas ein und »übertrifft damit die meisten in Deutschland erschienenen Werke dieser Gattung«, und es gelingt ihm sehr plastisch, »das Alltagsleben und die Mentalität des Ortes und der Einwohner zu veranschaulichen« – so der Herausgeber eines Reprints der seinerzeit anonym erschienenen »Fragmente«, der renommierte Altonaforscher Hans-Werner Engels. In einem ausführlichen Nachwort erläutert und belegt Engels auf Grund eigener Untersuchungen, warum man das Werk mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Schriftsteller Heinrich Würzer (1751–1835) zuschreiben könne, und liefert einen biographischen Abriß zu diesem Autor.

Werk wie Nachwort dieses Bändchens, das zudem durch ein Personenlexikon sowie ein Register besticht, bieten spannendere Lektüre als manch anderer der momentan boomenden »literarischen Spaziergänge«. Schnelles Zugreifen angesichts der geringen Auflage von 500 Stück scheint geboten! Zur Leseverführung noch zwei Passagen des Aufklärers Heinrich Würzer.

»Ich habe schon oft einen Saz widerrufen, den ich kurz vorher behauptet hatte, wenn ich meines Unrechts durch Gründe überführt wurde; denn ich hasse nichts so sehr als die Rechthaberei, weil dadurch der Ton des geselligen und freundschaftlichen Umganges so sehr leidet.

In Gesellschaft mag das steife Behaupten einer Meinung manchmal noch hingehen, weil es Stof zur Unterhaltung giebt, aber in Schriften sollte es billig nicht so seyn, und ein Autor, der sich einbildet, den aufgestellten Saz heute durchaus verfechten zu müssen, weil er ihn gestern als wahr vorgetragen hat, ohngeachtet er seitdem des Gegentheils überzeugt wurde, ist mir, trotz aller Schriftsteller-Talente, unausstehlich.«

»Wenn ich den Charakter der Altonaer bestimmen sollte, so würde ich sagen: sie sind gutmüthig, größtentheils betriebsam und es herrscht unter ihnen ein ziemlich guter Ton, die Mittelstrasse zwischen zu feiner Politur und Plattheit; aber gegen Fremde sind sie nichts weniger als zuvorkommend, im Anfange ihres Umgangs sehr zurükhaltend und bei einigen scheint man sogar anfangs eine Art von Schüchternheit zu bemerken, die wahrscheinlich davon herrührt, weil ihre Gutherzigkeit oft gemisbraucht worden und durch Erfahrung belehrt, sie es zuträglicher finden, jeden Fremden in einiger Entfernung von sich abzuhalten, bis durch nähere Bekanntschaft er sich auf ihre Gastfreundschaft einiges Recht erworben hat. Unter der feinern Bürgerklasse herrscht ein ziemlich guter Ton, ziemliche Kultur und Hang zur Geselligkeit. Der Luxus in Gesellschaften ist hier bei weitem nicht so übertrieben als in Hamburg, man versteht in Altona weit eher in Familien die Kunst, auch bey wenigen Schüsseln froh zu seyn, und hält die Abwechslung fremder Weine bei Tafeln, und den Wetteifer, die seltensten Lekkereien aufzusezzen, eben nicht für unentbehrlich.«